Streifzüge, Heft 52
Juni
2011

Fiktion und Berechnung

Welche Berechtigung hat die Mathematik in unserer Gesellschaft?

Die menschliche Gesellschaft wird in der modernen Zivilisation überwiegend vermittels Zahlen gesteuert. Im naturwissenschaftlichen Kontext erwies sich diese Praxis auch als erfolgreich. Physikalische Maßgrößen wie Länge, Gewicht oder Geschwindigkeit verlangen eben nach mathematischer Repräsentation. Weniger plausibel scheint der Einsatz der quantitativen Methoden jedoch im sozialen Kontext. Weder Durchschnittswerte der Lebenserwartung, des Einkommens oder medizinischer Messergebnisse noch in Geld dargestellte Größen scheinen im Leben der Mehrheit der Bevölkerung wirklich hilfreich zu sein. Jeder Mensch erlebt sich selbst eben stets als Individuum, damit als etwas Besonderes, sodass der Durchschnitt für ihn jeder Lebenswirklichkeit entbehrt. Ein besonders schwerwiegender Denkfehler scheint zudem der Verwendung finanzieller Größen in mathematischen Modellen zugrunde zu liegen. Vor allem fınanzielle Rechenwerke besitzen daher zumeist kaum einen relevanten Bezug zum sozialen Umfeld. Ursprung und Folgen dieses Denkfehlers sollen im nachfolgenden Beitrag zunächst erklärt und danach zur Diskussion gestellt werden.

Die Funktion der kleinsten Einheit

Mathematik ist in ihrer Anwendung nicht unabhängig von Vorbedingungen. Wenn mathematische Berechnungen einen Sinn ergeben sollen, so ist auf das der Mathematik zugrundeliegende Axiom der Abzählbarkeit zu achten. Mathematische Methoden können also nur dort sinnvoll verwendet werden, wo der Betrachtung eine wohldefinierte und im Zeitablauf konstante kleinste Einheit zugrunde liegt. Nicht ohne Grund wurde das Urmeter seinerzeit in Form eines X-Profils aus einer besonders robusten Metall-Legierung in Paris hinterlegt. Später wurde diese Art der Definition durch ein Vielfaches einer blauen Lichtwellenlänge ersetzt, weil dadurch Einflüsse der Temperatur auf das Längenmaß noch besser unterbunden werden konnten. Das Meter besitzt eben keine Länge, sondern es ist lediglich die Maßeinheit zur Messung der Länge von Gegenständen.

Hinterfragen wir aber nun einmal diese Grundlagen im Zusammenhang mit finanziellen Maßgrößen. Wie ist denn die kleinste Einheit einer Währung heute definiert? Was „ist“ denn die Definition eines US-$ oder eines Euro? Zu den Zeiten des Goldstandards bestand eine fixe Relation zwischen einer Feinunze Goldes (also einer physikalischen Gewichtseinheit) und 35 US-$. Dennoch wurde aber z.B. Gold selbst wiederum in US-$ bepreist (Londoner Goldpreisfixing), sodass es zu einem absurden Zirkelschluss kam, denn Gold = $ = Gold = $ ...

Heute aber unterliegen Währungen im Inland der Inflation (als Maßgröße politisch gesteuert durch willkürlich gewählte Warenkörbe) und im Verhältnis zum Ausland einem sog. Wechselkurs, der von den mächtigsten Spekulanten des Planeten jederzeit bewegt werden kann zum Zwecke der Generierung ihres leistungslosen Einkommens zu Lasten der Realwirtschaft. Während Spekulanten also ihren unermesslichen Reichtum der Manipulation der Wechselkurse verdanken, müssen sich Leistungsersteller der Realwirtschaft teuer und aufwändig dagegen „absichern“ und an beiden Geschäftsmodellen (sowohl an der Spekulation als auch an den Kurssicherungsgeschäften) verdienen ausschließlich die Banken.

Die heute weltweit verwendeten ungedeckten Währungen (das sog. fiat money, also Geld ohne Deckung, das rein buchungstechnisch „aus Luft“, also ohne Gegenwert, von den privaten Geschäftsbanken geschöpft wird) erhalten ihren Wert als Ergebnis der Machtverhältnisse auf den Finanzmärkten, nach „Angebot und Nachfrage“. Würde auch das Metermaß jeweils nach „Angebot und Nachfrage“ bestimmt, also sich z.B. vor einem riesigen Bretterstapel entsprechend verlängern (aufgrund der gestiegenen Nachfrage) und vor einem einzigen Brett drastisch verkürzen (aufgrund der geringen Nachfrage), dann kann auch ein Laie sofort erkennen, dass die Messfunktion nicht erfüllt werden kann und daher keine einzige Bretterbude mit einem solchen „Maßsystem“ errichtet werden kann.

Mit Geld werden Preise bezahlt. Preise stellen jedoch Wertverhältnisse dar. In einem Verhältnis, also einem Bruch, einer Relation, kürzt sich die Dimension weg. Das Verhältnis der Länge zweier Bretter, die je 3m und 2m lang sind, ist 3/2 oder 1,5. Es handelt sich dabei im Ergebnis aber nicht um Meter! Verhältnisgrößen (wie auch Preise) müssen daher immer dimensionslos sein — Zusätze wie % oder € sind absurd und daher inhaltsleer. Ihre aktuelle Existenz verdanken sie lediglich dem Missbrauch durch Spekulanten (Kursmanipulation) und Banken (Erpressung durch Zahlungsmittelverknappung). Geschichtlich lassen sich die Zusätze wie „Mark“ oder „Krone“ (also die Namen der Währungen) einfach so erklären, dass die adeligen Herrscher der damaligen Zeit auf diese Art mit ihrem Siegel direkt auf den Geldscheinen die Erlaubnis zur wirtschaftlichen Tätigkeit zum Ausdruck brachten. Es handelt sich also um Symbole zur hoheitlichen Genehmigung der wirtschaftlichen Tätigkeit in einem geografischen Herrschaftsgebiet. Erst die Banken haben daraus, nach Verdrängung des Adels, ein „Ding mit Eigenwert“ geschaffen. Alle volkswirtschaftlichen Paradoxien, wie etwa der Umstand, dass wirtschaftlich starke Länder aus ebendiesem Grund mit ihrer Währung unter Aufwertungsdruck geraten, der ihre Produkte auf den ausländischen Märkten dann wieder verteuert, sind im Kern nur auf diesen absurden Umstand zurückzuführen, dass Währungen heute eben nicht als bloße Maßzahlen ohne Eigenwert (wie Meter oder Kilo) definiert sind, sondern als primitives Warengeld (wie etwa Goldstücke), ohne dass dahinter tatsächliche Werte als Deckung vorhanden wären.

Bilanzen: Das Rechnen mit Äpfeln und Birnen

Damit beginnt aber erst die absurde Pseudomathematik, unter der weltweit die Gesellschaft leidet. Betrachten wir doch einmal die Welt der Bilanzen aus mathematischer Perspektive. Falls die in diesen fragwürdigen Rechenwerken ausgewiesenen Beträge tatsächlich Geldbeträge wären, dann wäre die Erstellung und Überprüfung effizient und einfach. Geld, das tatsächlich vorhanden ist, würde einfach den zum Stichtag bestehenden Zahlungsverpflichtungen gegenübergestellt. In der Praxis stellt aber die Position „Kassa“ einen sehr geringen, wenn nicht sogar vernachlässigbaren, Posten der Aktivseite der Bilanzen dar. Schon die Bankguthaben sind ja rechtlich bloß Forderungen und nicht wirklich Geld. Alle anderen Aktiva sind als Geld in Wahrheit nicht vorhanden. Für sie wurde Geld bezahlt. Sie werden in Zukunft vielleicht gegen Geld veräußert werden. Sie sind erforderlich, um in der Zukunft Umsatzerlöse zu erzielen. Alle diese Umstände können aber nicht als Begründung dafür herangezogen werden, unter ihrem Titel einfach willkürliche Geldbeträge auf der Aktivseite auszuweisen. Ebenso absurd gestaltet sich die Passivseite. Die Verbindlichkeiten besitzen unterschiedliche Fristigkeiten. Rückstellungen oder Abgrenzungsposten werden je nach Bilanzierungstheorie, also nach ideologischen und politischen Kriterien „errechnet“ — Mathematik wird flächendeckend missbraucht!

Einfache Menschen glauben praktisch alles, solange man dies in ein Korsett aus Zahlen verpacken kann. Und zu den allereinfachsten gehören leider die Aktionäre, die, wie Carl Fürstenberg sagt, „dumm und frech“ sind. „Dumm, weil sie ihr Geld anderen Leuten ohne ausreichende Kontrolle anvertrauen und frech, weil sie Dividenden fordern, also für ihre Dummheit auch noch belohnt werden wollen.“ Nach dem Missbrauch der Mathematik durch das Fehlen der wohldefinierten kleinsten Einheit auf der Ebene der Währungen stellen somit Bilanzen die zweite, darüber liegende Ebene des Missbrauchs dar. Keine Zahl einer Bilanz gestattet die Prognose zukünftiger Zahlungsströme. Alle Bewertungen sind vergangenheits- bzw. stichtagsorientiert. Zukünftige Zahlungsflüsse (Cash Flows) werden immer dann, wenn sie für Berechnungen benötigt werden, einfach „geschätzt“, das bedeutet vom Vorstand des Unternehmens übernommen. Es kann niemanden verwundern, wenn diese „Berechnungsmethoden“ dann regelmäßig versagen!

Mythologische Planungsrechnungen

Finanz- und Investitionspläne führen jedoch die Absurdität zum Höhepunkt. Im klassischen Kapitalwertmodell werden etwa alle zukünftigen Ein- und Auszahlungen des Investors auf der Zeitachse eingetragen und die Nettoüberschüsse (also die Differenzen der Ein- und Auszahlungen) pro Periode auf den Planungszeitpunkt abgezinst und dort addiert. Was in diesem „Planungsmodell“ jedoch sorgsam verschwiegen wird, ist der triviale Umstand, dass jede Einzahlung im Plan dieses Unternehmens natürlich eine Auszahlung im Plan eines anderen (Lieferanten- oder Kunden-) Unternehmens sein muss. Während das planende Unternehmen also hofft, dass seine zukünftigen Einzahlungen in voller Höhe eingehen werden, ist jedes Lieferanten- bzw. Kundenunternehmen nach besten Kräften bestrebt, diese Zahlungen seinerseits zu minimieren, da es sich dabei natürlich um Teile seiner Auszahlungen handelt. So agieren also die Akteure schon in der Planungsphase unmittelbar gegeneinander. Würde man einfach die Pläne aller beteiligten Unternehmen wertfrei nebeneinanderlegen, so wäre sofort offensichtlich, dass sie einander widersprechen und sie sich daher in dieser Form keinesfalls umsetzen werden lassen. Da dies jedoch in der Wirtschaftspraxis nicht geschieht (die Planung erfolgt regelmäßig in der Abgeschiedenheit des Elfenbeinturms des Unternehmensvorstands), flüchten sich alle Beteiligten in den Mythos der „Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen“. Niemand erwartet, dass sich Pläne in der Realität jemals wirklich umsetzen lassen. Bereits zum Planungszeitpunkt ist allen beteiligten Managern klar, dass es sich um bloße Illusionen handelt. Sie müssen jedoch ihre Unwissenheit akribisch in den Sitzungsprotokollen dokumentieren, denn der wichtigste Rechtsgrundsatz im Kapitalismus lautet schließlich: „Unwissenheit schützt vor Strafe“ — die Umkehr gilt nur für den „kleinen Mann“!

Anlegergelder können also jederzeit verspielt oder privat entnommen und verwendet werden, solange sichergestellt ist, dass die eigene Unwissenheit in Bezug auf zukünftige Entwicklungen in den Sitzungsprotokollen ausreichend dokumentiert ist. Schließlich gilt als Leitsatz der Finanzwirtschaften der Zusammenhang, dass der (Ertrags-) Zinssatz mit zunehmendem Risiko steigt. Je größer daher die dokumentierte Unwissenheit, desto höher die Bezüge und Boni der Beteiligten. Offensichtlich handelt es sich hierbei um die hochtrabend ins Englische übersetzte Version der Volksweisheit „Je dümmer der Bauer, desto größer seine Kartoffeln“!

Weshalb bereits zum Entscheidungszeitpunkt eine konkrete Zahl (noch dazu als Barwert) errechnet werden sollte, ist ebenfalls nirgends aus der Fachliteratur zu erschließen. Die gewählten Zinssätze werden regelmäßig willkürlich gewählt und verdecken vor allem einen wichtigen Umstand: Es handelt sich wiederum um einen argumentativen Zirkelschluss! Mit dem Argument der „Hintergrundinvestition mit vergleichbarem Risiko“ wird verschleiert, dass es prinzipiell unmöglich ist, aus Geld mehr Geld zu produzieren. Die in der Finanzierungstheorie immer wieder aufgestellte Behauptung, der „risikolose Zinssatz“ entspräche dem Zinssatz für Staatsanleihen ist nämlich schlichtweg falsch. Erstens sind bereits zahllose Staaten Bankrott gegangen (ihre Staatsanleihen wurden somit wertlos), zweitens müsste der Lohn für ein Null-Risiko theoriegemäß ebenfalls gleich Null sein, wenn der Zinssatz tatsächlich eine Entlohnung für das Risiko des Investors darstellen soll. Aber so viel Logik darf man von Finanzierungstheoretikern wohl nicht verlangen.

Ein anderes Problem, das sich unmittelbar aus der zum Entscheidungszeitpunkt fehlenden Information ergibt, ist die aus Barwertmodellen folgende „systemische Gier“. Diese lässt sich ganz einfach aus einem Gedankenexperiment erschließen. Stellen Sie sich vor, ein wohltätiger Multimillionär möchte Ihnen einen Geldbetrag schenken, damit Sie nie mehr für Ihren Lebensunterhalt arbeiten müssten. Die einzige Bedingung wäre, dass Sie ihm noch heute einen konkreten Betrag nennen. Wie würden Sie dieses Problem zu lösen versuchen? Man würde wohl beginnen eine lange Liste mit Beträgen zu erstellen. Zunächst die laufenden monatlichen Lebenshaltungskosten (Lebensmittel, Energie, Miete, Reparaturen, Kleidung etc.), danach die Kosten für einen oder mehrere Neuwägen bis zum Lebensende (wobei die Inflation berücksichtigt werden sollte), Kosten für geplante Urlaube und Reparaturen in Wohnung oder Haus, für Gesundheits- und Altersvorsorge, diverse Versicherungen. Danach folgen die Kosten für allfällige Gesundheits- und Pflegemaßnahmen für die eigenen Eltern. Schließlich kommen die eigenen Kinder an die Reihe. Sie sollen studieren, benötigen eine Startwohnung etc. Am Ende dieser Überlegungen steht ein unglaublich groBer Geldbetrag. Seine enorme Höhe verdankt er aber nicht der persönlichen Gier des Entscheiders, sondern dem Umstand, dass hier zu einem konkreten Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen werden muss, für welche die notwendigen Informationen noch nicht verfügbar sind. Kein Mensch kann wissen, welche gesundheitlichen Maßnahmen z.B. im Laufe seines restlichen Lebens noch notwendig sein werden. In solchen Zweifelsfällen wählen wir alle — zur „Sicherheit“ — jeweils einen etwas höheren Betrag, und diese „Sicherheitspölster“ summieren sich dann eben.

Eine alternative Sichtweise bestünde in folgender Vorgangsweise: Man fordert vom wohltätigen Spender lediglich einen einzigen Euro. Man verlangt danach, immer genau einen Euro mehr am Konto vorzufinden, als man zum jeweiligen Zeitpunkt ausgeben muss. Dies widerspricht zwar der ursprünglichen Forderung des Wohltäters, ist für diesen aber unvergleichlich preiswerter. Flexibilität senkt die Kosten, denn es wird erst dann über konkrete Beträge entschieden, wenn die dafür erforderlichen Informationen auch wirklich verfügbar sind.

Der Geldmythos am Ende

Die globale Schuldenkrise führt auch dem wirtschaftswissenschaftlichen Laien eindrücklich das Versagen des aktuellen Geldsystems vor Augen. Geld, welches schon im Entstehen mit einer gleich hohen Schuld belastet ist, kann eben nicht dazu verwendet werden, Schulden zurückzuzahlen. Daher sind alle „Rettungsschirme“ und „-Fonds“ nutzlos und werden bloß dazu führen, dass die Politiker einzelner Staaten aus innenpolitischen Gründen im Ausland Sündenböcke für die enormen Defizite verantwortlich machen wollen. Damit werden nun abermals Vorurteile und Nationalismen geschürt, anstatt die wahren Ursachen beim Namen zu nennen und der Bevölkerung den entscheidenden Schritt in eine neue Zukunft zu ermöglichen. Der einzige Ausweg wird von Wirtschaftsführern und Politikern abermals in einer Währungsreform gesehen, wobei jedoch die Bevölkerung in großem Umfang enteignet würde. Daher muss diese Entwicklung auch konsequent und solidarisch von allen Menschen abgelehnt werden, und zwar unter Hinweis auf bessere Alternativen. Wer eine für die Mehrheit der Bevölkerung nachteilige Politik als „alternativlos“ bezeichnet, sollte mangels Kompetenz freiwillig zurücktreten.

Wie sehen die Alternativen nun aber aus, wenn eine Währungsreform und die damit verbundenen Verluste vermieden werden sollen? Zunächst muss die Geldschöpfung in öffentliche Hand verlagert werden. Damit ist jedoch kein finsteres, zentralistisches und intransparentes Ministerium zu betrauen, sondern diese sensible Aufgabe muss unter laufender öffentlicher Kontrolle und bei maximaler Transparenz von der gesamten Gesellschaft bewältigt werden. So wie die Versorgung mit Wasser oder Strom muss auch die Versorgung mit Kaufkraft eine öffentliche Aufgabe sein, welche keinesfalls privatwirtschaftlichen Gewinninteressen oder politischen Machenschaften untergeordnet werden darf. Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte über eine Sozialversicherungsnummer verfügen. Diese könnte identisch mit seiner Sozialkontonummer sein, unter welcher für ihn aufgrund seiner Leistungen laufend die Geldschöpfung erfolgt. Zu Beginn werden alle Menschen mit einem „Blankokredit‘ ausgestattet, um über ausreichende Kaufkraft für das tägliche Leben zu verfügen. Danach wird bei jeder Leistungserstellung beim Leistenden der Preis zum Kontostand addiert, beim Empfänger hingegen zeitgleich subtrahiert. Geld wird so nur noch als Information sichtbar und verfügt über keine eigenständige Substanz. Die reine Zahl drückt den Wert der realwirtschaftlichen Leistung aus, ein wertbeständiges Medium als „Zwischenlager“ wird überflüssig. Weil damit Geld nie wieder knapp sein kann (solange Menschen in der Lage sind, Leistungen zu erbringen), erübrigt sich auch die Notwendigkeit von Zinsen, die ja nur als Preis für knappes Geld fungieren. Geld muss auch nicht mehr ausgeliehen werden, um eine wirtschaftliche Tätigkeit entfalten zu können, denn mit jeder erbrachten Leistung wird ihr Wert einfach notiert bzw. elektronisch gespeichert.

Die in diesem System eingeräumten Kredite wären auch nicht mehr „dinglich gesichert“. Da es sich hier ja nur um Zähleinheiten handelt (und keine wertvollen Tauschobjekte) gehen bei Kreditausfällen (d.h. bei Menschen, welche ihren Kontostand beständig im „Minus“ führen) auch keine Werte verloren. Somit verschwinden auch Exekutionen und Enteignungen. Wie kann in diesem System dann aber sichergestellt werden, dass sich die Anzahl der Trittbrettfahrer in Grenzen hält? Dies wäre die Aufgabe der neuen „Bankmitarbeiter“, sogenannter „Wegbegleiter“. Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung könnten einen völlig neuen Beruf ergreifen, den des „Wegbegleiters“. Hierbei handelt es sich um Psychologen, Heilpraktiker, Mediatoren, Coache etc., welche jeden Menschen durch sein Leben begleiten um sicherzustellen, dass sich das menschliche Potential maximal entfalten kann. Für junge Menschen wäre der Wegbegleiter ein Lehrer, für Menschen in mittleren Jahren ein Trainer, für ältere Personen u.U. ein Pfleger. Diese Mitglieder eines neuen Berufsstandes hätten nichts anderes zu tun, als 10-20 Menschen glücklich zu machen — indem sie diese nach Kräften dabei unterstützen, ihr menschliches Potential auszuschöpfen.

Rechtsformen von Unternehmen wären in diesem neuen Wirtschaftssystem vollkommen überflüssig, wir wären alle Unternehmer („Ich-AGs‘), die sich in Projekten freiwillig vernetzen können. Durch die zeitgleiche Dokumentation der erbrachten Leistung entsteht für alle Beteiligten sofort Kaufkraft — als bloße Zahl, als reine Information. Wenn ein Mitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens, das über 500 Kunden verfügt, heute nichts zu tun hat, weil diese 500 Kunden z.B. momentan keinen Bedarf an Unternehmensleistungen aufweisen oder über zu geringe Kaufkraft verfügen, dann ist der Mitarbeiter zur Untätigkeit gezwungen. Dennoch wird er hoffen, seinen Arbeitsplatz und damit sein Einkommen weiter zu behalten, wenngleich er mangels Bestellung nicht produktiv werden kann. Könnte dieser Mitarbeiter aber seine Fähigkeiten der gesamten Branche anbieten (und nicht nur dem Unternehmen, in welchem er beschäftigt ist!), so könnte er z.B. in zwei Arbeitstagen seine Leistungen für die gesamte Branche erbringen. An den restlichen drei Arbeitstagen hätte er frei und zugleich verfügte er über ein wesentlich höheres Einkommen, da er ja die gesamte Branche mit seinen Leistungen versorgen kann und nicht nur ein einziges Unternehmen! Rechtsformen behindern die Effizienz der Wirtschaftsleistung durch Konkurrenz um Kunden. Die stets geringe Kundenanzahl (im Vergleich zu den Kunden der gesamten Branche) zwingt Menschen zur Untätigkeit, die aber dennoch in irgendeiner Form mit Kaufkraft versorgt werden müssen.

Auch das Bildungssystem bliebe von dieser gesellschaftlichen Veränderung nicht verschont. Schulkinder würden in kleinen Arbeitsgruppen gemeinsam mit einer Lehrkraft echte Probleme ihrer Gemeinde lösen: Für eine kranke Großmutter könnten Informationen von Patienten erhoben werden, die von der Krankheit genesen sind; ein Kräutergarten für eine Familie könnte fachgerecht angelegt oder ein Kreisverkehr geplant, simuliert und errichtet werden. Vermittels dieser Leistungen würden bereits Schulkinder (durch gemeinschaftsnützliche Kooperation) ihr eigenes Leistungsgeld schöpfen und damit mit Kaufkraft ausgestattet. Ältere Menschen der Gemeinde könnten die Leistungen der Schülerinnen und Schüler bewundern und wären stolz auf die Jungen — die Gesellschaft würde geeint, anstatt dass junge Menschen so wie heute in baufälligen Gebäuden kaserniert und von der Gesellschaft weitestgehend ausgeschlossen werden.

Fazit und Ausblick

Die Mathematik wurde in weiten Bevölkerungskreisen bereits in vorchristlicher Zeit als Betrugs- und Täuschungsinstrument eingesetzt. Sowohl die heutige Methode der Geldschöpfung (in Form verzinsten Schuldgeldes) als auch die meisten anderen finanzmathematischen Verfahren gehen nach wie vor von falschen Voraussetzungen aus, indem sie z.B. unhinterfragt das Nullsummenspiel des Geldsystems unterstellen und dadurch missachten, dass die für die Planung verfügbaren Informationen bereits selbst manipuliert und unzuverlässig sind. Erst ein modifiziertes Geldsystem, in welchem Geld selbst nur noch als Information ohne Eigenwert fungiert und daher den Fluss echter (und nicht zur Täuschung gedachter) Steuerungsinformationen ermöglicht, wird hier nachhaltig Abhilfe schaffen können. Diese Veränderung erzwingt jedoch entsprechende Anpassungen in praktisch allen Teilbereichen der Gesellschaft, v.a. auch im Bildungssystem. Aus diesem Grunde kann uns nur ein Multiparadigmenwechsel friedlich und nachhaltig aus der bestehenden Finanzkrise führen!

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