Heft 7-8/2000
Dezember
2000

Es war ein Putschversuch!

Für ein Umschreiben der Geschichte des Jahres 1950

Die Rückblicker auf den „Putschversuch“ 1950, ob aus dem bürgerlichen Lager oder von der KPÖ, gehen von einem falschen Gegensatz aus. Entweder sei es bloß um den Lohn gegangen, wie die KPÖ und an den Fakten orientierte Historiker berichten – …

Die KPÖ plakatierte eine „Erklärung von Nationalrat Fritz Honner“: „Die Behauptung, daß wir Kommunisten einen ‘Putsch’ beabsichtigen, daß wir die Kampfbewegung der Arbeiterschaft gegen den Preistreiberpakt zu einem gewaltsamen Umsturz ausnützen wollten, ist von A bis Z erlogen.“ (Kurier 28.9.2000) … – oder es habe sich eben nicht um einen „Lohnstreik“, sondern um einen „politischen Umsturz“ gehandelt:

„Die KPÖ setzte sich mit einem Tempo an die Spitze der Proteste, das vermuten ließ, sie habe die Streikpläne längst vorbereitet. Vorwurf: Die Kommunisten hätten im Oktober 1950 keinen Lohnstreik, sondern einen politischen Umsturz versucht.“ (Kurier 27.9.2000)

Dieser Gegensatz ist falsch; der Lohn ist seiner Natur nach ein Politikum. Ein alter Fehler der Arbeiterbewegung ist die Trennung von politischem und ökonomischem Kampf: Im ökonomischen Kampf gehe es „bloß“ um ökonomische Verbesserungen, erst der politische Kampf widme sich dem Sozialismus. Diese „defensive“ Vorstellung hat die Regierung 1950 nicht gelten und von einer „gelben“ Gewerkschaft niederknüppeln lassen. Sie hat den Lohnkampf als Angriff auf ihr zentrales Projekt und damit als Angriff auf sich bekämpft:

Daß ein kapitalistischer Wiederaufbau nur mit billigster Arbeitskraft geht, daß die Lohnsenkung des Jahres 1950 ein staatliches Anliegen war, daß den Arbeiter sein eigener Lohn nichts angeht, weil es für dessen Regelung eine Gewerkschaft gibt, die ihn mit gesamtkapitalistischer Verantwortung betrachtet und namens der Arbeiter Kollektivverträge abschließt – so haben Regierung und ÖGB damals das nationale Interesse definiert und durchgesetzt. Der Lohn ist nun einmal das Mittel des Kapitals und des Staates. Wie damals ist bei der aktuellen „Sanierung“ des Staatshaushaltes zwangsläufig der Lohn im Visier: In Gestalt der Lohnteile, die sozialstaatlich umverteilt werden; in Gestalt der Teile, die direkt – als Steuern – enteignet werden; in Gestalt der Teile, die – „Lohnnebenkosten“ – dem Kapital künftig erlassen werden; in Gestalt der Teile, die ein Arbeiter wegen der „noblen Zurückhaltung“ des ÖGB gar nicht erhält. Der Lohn ist der Selbstbedienungsladen der Nation, damals wie heute.

Im Jahr 1950 waren Teile der Arbeiterschaft der Meinung, der Lohn müßte auch für sie etwas taugen, und haben gegen die damalige Lohnsenkung gekämpft: „Unbestritten die Zahlen, mit denen die KPÖ Propaganda machte: Danach stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel zwischen 30 und 60 Prozent – die Löhne nur um zehn Prozent.“ (Kurier 27.9.2000)

Die gewählte Regierung hat unmißverständlich gekontert. Sie hat den Lohnkampf zum Umsturz erklärt, sie hat klargestellt, wer den „Preistreiberpakt“ aushebeln will, der muß die Regierung kippen, der muß auch den Umsturz wollen. Sie hat klargestellt, daß der Kapitalismus und der Lohn ein politisches Projekt ist, ein Staatsziel ersten Ranges – jeder, der für seinen Lohn kämpft, stellt sich gegen sie und muß sich gegen sie stellen. Es ist bedauerlich, daß damals keine Kommunisten unterwegs waren, die die Streikbewegung darauf aufmerksam gemacht hätten, daß ein Lohnkampf spätestens dann ein „Putschversuch“ ist, wenn er von der Regierung so beurteilt und behandelt wird – daß die Streikbewegung sich also dem Zusammenhang zwischen Lohnkampf und Umsturz zu stellen hätte, den die Regierung hergestellt hat. Da verlautbart die Regierung 1950 elementare marxistische Dogmen:

  • Arbeiter sind das Anhängsel des Kapitals,
  • der Lohn hat für die Nation tauglich zu sein,
  • ein anständiges Auskommen ist eine Systemfrage

– und ausgerechnet Kommunisten dementieren damals wie heute den Zusammenhang zwischen dem ökonomischen und dem politischen Kampf, zwischen Lohnkampf und Umsturz!

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Die Oktoberstreiks waren Streiks im Herbst 1950 im besetzten Nachkriegsösterreich. Im Zuge der Verhandlungen zum Vierten Lohn-Preis-Abkommen kam es Ende September 1950 zu einer Streikbewegung in der österreichischen Arbeiterschaft.

Zwischen 1947 und 1949 hatten die Sozialpartner drei Lohn-Preis-Abkommen geschlossen, die die österreichische Wirtschaft ankurbeln und die Inflation niedrig halten sollten. Durch die Abkommen sollte garantiert werden, dass die Preise für Produkte auf ein realistisches Niveau steigen, Arbeiterhaushalte jedoch weiterhin ihre Grundbedürfnisse erfüllen könnten. Die Regierung und die Unternehmen, sowohl die privaten als auch die zahlreichen Betriebe in staatlicher Verwaltung, wollten die Löhne weiter auf einem niedrigen Niveau halten, um die erzielten Gewinne für Investitionen nutzen zu können und so den Wiederaufbau anzukurbeln, während die Arbeiterschaft mehr Kaufkraft für einen höheren Konsum forderte.

Im September 1950 fanden Verhandlungen zu einem Vierten Lohn-Preis-Abkommen statt, wobei die Inhalte der Sitzungen geheim gehalten wurden. Am 22. September wurden via Rundfunk erste Eckpunkte verkündet: Per 1. Oktober sollte etwa Mehl um 64 Prozent teurer werden, Zucker um 34 % und Brot um 26 %. Am 26. September stimmte der ÖGB dem Abkommen zu.[1]

Streiks in Oberösterreich (September 1950)

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Die ersten Streiks begannen am 25. September in Linz, ausgehend von der VÖEST, wo sowohl kommunistische Betriebsräte als auch Vertreter des VdU in einer Betriebsvollversammlung gemeinsam einen Mehrheitsbeschluss für einen einstündigen Warnstreik gefällt hatten. Am nächsten Tag, dem 26. September, begannen dann in ganz Österreich Streiks, die sich vor allem gegen die für 1. Oktober angekündigten Preissteigerungen richteten. Insgesamt beteiligten sich daran etwa 120.000 Arbeiter, wovon 40.000 aus den USIA-Betrieben in der sowjetischen kontrollierten Zone stammten (vgl. Besetztes Nachkriegsösterreich). In Linz zogen etwa 15.000 Demonstranten über die Landstraße bis zum Linzer Landhaus und erreichten dort, dass eine zwanzigköpfige Abordnung von Landtagsabgeordneten versicherte, ebenfalls gegen die voreiligen Preiserhöhungen einzuschreiten. Weitere Streikzentren in Oberösterreich waren die Industriebetriebe sowie die Post und Eisenbahn in Steyr, Gmunden, Attnang-Puchheim, Lenzing und Nettingsdorf. Die Reaktion der Exekutive war zunächst die Ausrufung der Alarmstufe 4 (Landesalarm) und über 1.000 Gendarmen wurden in Linz konzentriert.

Am 27. September verstärkte sich die Streikbewegung und vor allem in Linz standen alle öffentlichen Verkehrsmittel still. Eine große Menge von Arbeitern aus der VÖEST und der Stickstoffwerke belagerte das Gebäude der Arbeiterkammer, wo die Landesexekutive des ÖGB tagte und forderte in Sprechchören „Weg mit dem Schandpakt!“. Das VdU-geführte Streikkomitee besetzte das Arbeiterkammergebäude und forderte den Rücktritt des Präsidenten der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich Heinrich Kandl (1875–1968), den dieser unter der Drohung, ansonsten vom Balkon gestürzt zu werden, auch aussprach[2]. Die Polizei und Gendarmerie rückte mit Stahlhelmen und aufgepflanzten Bajonetts an, versuchte aber vergeblich in das Gebäude einzudringen. Erst als sich am Abend die Demonstranten zerstreuten, entspannte sich die Lage und die Exekutive konnte ohne Widerstand das Arbeiterkammergebäude übernehmen.

Am 28. September herrschte zunächst Unklarheit, ob die Streikbewegung von Seiten der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt wird. Nachdem die Amerikaner ihre Posten verlassen hatten, besetzte die Gendarmerie in Linz deshalb die Zufahrt zur Nibelungenbrücke, um eine Kommunikation mit der sowjetischen Zone nördlich der Donau zu unterbinden. Die Landesregierung verbreitete indes über die Medien, dass es sich bei den Streiks um „eine provozierende Machenschaft politischer Renegaten“ handelte. Sogar die Gewerkschaftsführung und die SPÖ distanzierte sich öffentlich von den Aktionen und sprach von gesetzwidrigem Vorgehen.

Daraufhin beruhigte sich die Lage in ganz Oberösterreich und bereits am 29. September verlor die Streikbewegung an Unterstützung.

Streiks in Wien (Oktober 1950)

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Am nächsten Tag, dem 30. September, organisierten in Wien vor allem kommunistisch organisierte Arbeitervertreter eine „Gesamtösterreichische Betriebsratskonferenz“ in der Floridsdorfer Lokomotivenfabrik, die der Regierung ein Ultimatum stellte und mit einem Generalstreik drohte, zu dem es allerdings nicht kam. Die weiteren Ereignisse verlagerten sich darauf hin aus Oberösterreich nach Wien und in die sowjetische Besatzungszone. In Oberösterreich kam es lediglich in Steyr am 5. Oktober noch einmal zu einer größeren Protestkundgebung, bei der 5.000 Arbeiter teilnahmen. Doch das Lohn-Preis-Abkommen war zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft.

Am 4. Oktober erreichten die Streiks in Wien ihren Höhepunkt. Rollkommandos der Streikenden versuchten, das öffentliche Leben lahmzulegen und besetzten Straßen und Plätze. Wagen der Wiener Straßenbahn wurden durch Zuschütten der Gleise und Ausbetonieren der Weichen daran gehindert auszufahren. Auch zahlreiche andere Streikbrecher wurden an einem Weiterarbeiten gehindert.

Als einer der maßgeblichen Anführer bei Beendigung der Streiks galt lange der damalige Gewerkschaftschef der Bau- und Holzarbeiter, Franz Olah, der über beste Kontakte zur amerikanischen Besatzungsmacht verfügte. Olah rüstete am 5. Oktober Aktivisten aus seiner Bauarbeitergewerkschaft mit Schlagstöcken und Lastautos aus, um auch im sowjetischen Sektor Wiens den Streikenden "schlagkräftig entgegenzutreten", während die Polizei hier nach Anweisung der Besatzungsmacht nicht einschreiten durfte.[3] Nach Ansicht des Historikers Peter Autengruber war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits klar, dass der Streik zusammenbrechen würde.[1]

Am 6. Oktober beschloss schließlich die Gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz, die Streiks abzubrechen.[4] Unmittelbar danach wurde damit begonnen, innerhalb des ÖGB die Streikführer und Kommunisten zu identifizieren und aus der Gewerkschaft auszuschließen, darunter auch den Vizepräsident des ÖGB Gottlieb Fiala. 78 kommunistische Gewerkschafter verloren ihre Funktion oder ihren Arbeitsplatz.[1]

Politischer Hintergrund

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In den Linzer Großbetrieben organisierte sich der Streik durch Mitglieder der KPÖ und der neu gegründeten VdU, der rechts gerichteten Vorgängerpartei der heutigen FPÖ, die sich als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten verstand und besonders unter den Heimatvertriebenen Anhänger hatte. Die Streiks in Wien wurden hauptsächlich von den Betriebsräten der damaligen USIA-Betriebe organisiert. Auch die kommunistischen Betriebsräte in den westlichen Besatzungszonen zogen mit.

Die vom ÖGB nach Streikende und dem Ausschluss von KPÖ-Funktionären vorgegebene Lesart war, dass das Ziel der Streiks gewesen sei, den österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) unter KP-Kontrolle zu bringen und in Österreich eine Regierung unter kommunistischem Einfluss zu etablieren. In Folge herrschte lange Zeit die Ansicht, dass es sich bei den Oktoberstreiks um einen Putschversuch der KPÖ handelte. Die KPÖ dementierte Putschabsichten entschieden. Dass die kommunistische Partei die Wirtschaftskrise nutzen wollte, um verlorenen Rückhalt in der Bevölkerung zurückzuerlangen, steht nicht in Zweifel. Laut einer Aussage des Wiener KPÖ-Politikers Viktor Matejka wäre im Falle eines durchschlagenden politischen Erfolges der KPÖ Josef Dobretsberger, ein Professor aus Graz, als neuer Bundeskanzler vorgesehen gewesen. Matejka betonte aber auch, dass es zwischen der österreichischen KP und der Zentrale in Moskau ein Kommunikationsproblem gegeben haben dürfte – die Sowjetunion hatte nämlich kein wirkliches Interesse an einer Machtübernahme der KPÖ in Ostösterreich, die ja notwendig eine volle NATO-Integration der westlichen Besatzungszonen nach sich gezogen hätte, sondern sie verfolgte damals als Ziel die Neutralisierung Österreichs als Vorbild für Westdeutschland. Per ÖGB-Aussendung und nach heutigen historischen Erkenntnissen wurde widerlegt, dass die Absicht mit dem Streik die Macht zu übernehmen bestand. Somit revidierte 2015 der ÖGB seine Ansicht zu den Oktoberstreiks und rehabilitierte die ausgeschlossenen Gewerkschaftsmitglieder.[1]

Bestreikte Betriebe

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Die Arbeiter folgender Unternehmen beteiligten sich an den Oktoberstreiks:

  • Christian Koller: Streikkultur: Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen Vergleich (1860–1950) (= Österreichische Kulturforschung, Bd. 9). Münster/Wien: Lit-Verlag 2009. S. 472–505.
  • Jill Lewis: Austria 1950: Strikes, "Putsch" and their Political Context, in: European History Quarterly 30 (2000). S. 533–552
  • Michael Ludwig, Klaus-Dieter Mulley, Robert Streibel: Der Oktoberstreik 1950. Ein Wendepunkt der Zweiten Republik. Picus, Wien 1991, ISBN 3-85452-220-7.
  • Mathias Wittau: Die Gewerkschaft im Nacken. September- und Oktoberstreik in Österreich 1950. In: Holger Marcks, Matthias Seiffert (Hrsg.): Die großen Streiks. Episoden aus dem Klassenkampf. Unrast, Münster 2008, ISBN 978-3-89771-473-1, S. 188–122.
  • Peter Autengruber, Manfred Mugrauer: Oktoberstreik. ÖGB-Verlag, Wien 2016, ISBN 978-3-99046-204-1.
  • Helmut Konrad: Kein Putsch: Legendenkehraus zum Oktoberstreik 1950, in: Neues Forum 24/286 (1977). S. 39–43
  • Eva Priester: Der grosse Streik: Tatsachenbericht über den Oktoberstreik 1950. Wien 1980

Einzelnachweise

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  1. a b c d Peter Mayr: Späte Gerechtigkeit für die Streikopfer. 24. April 2016, abgerufen am 9. Mai 2016.
  2. Zum drohenden Fenstersturz Kandls. Dieser blieb übrigens AK-Präsident bis 1959
  3. Hugo Portisch, Sepp Riff: Österreich II: Der lange Weg zur Freiheit, Kremayr & Scheriau, Wien 1986, ISBN 3-218-00442-X, S. 414–438
  4. Roman Roček, Österreichischer P.E.N.-Club: Glanz und Elend des P. E. N., Böhlau Verlag Wien, 2000, ISBN 9783205991229 (Seite 313, 314)