FORVM, No. 465-467
November
1992

Einige Fragen an Peter Pilz

Offener Brief* vom 11. September 1992

Im FALTER Nr. 33/92 stellt der Wiener Kommunalpolitiker Peter Pilz in Form eines Kommentars drei Fragen in den Raum, deren prompte Beantwortung dem Leser eine begrenzte UN-Militärintervention in Bosnien als die vernünftigste Lösung im dort herrschenden Bürgerkrieg nahelegen soll. Damit „legt er sich mit einem Tabu an“, und zwar dem „ihm teuersten: der Gewaltlosigkeit“! Abgesehen davon, daß es für einen Apologeten der Revolte, und als ein solcher wollte Pilz in der Vergangenheit wohl einmal gelten, doch nicht so schmerzlich sein sollte, „sich mit einem Tabu anzulegen“, sondern im Gegenteil auch einigermaßen lustvoll, abgesehen davon also stellt sich die Frage, ob es reicht, drei eigene Fragen zu beantworten, um ein Tabu zu brechen, was wohl einen präziseren Ausdruck für sein Schreiben und Handeln darstellt. Wenn es einem wirklich „das teuerste“ ist, sollte man, so glaube ich, einige Fragen mehr in den Raum stellen, ehe man zu einer inneren Entscheidung gelangt; besonders dann, wenn die Folgen dessen, was man propagiert, und sei es als Hobby-Außenpolitiker, einige Tausend Menschen das Leben kosten kann. Bei der Lektüre von Pilzens Antworten auf seine Fragen stellen sich mir jedenfalls noch einige Fragen dazu:

In welchem „U-Boot“ sitzen Friedensbewegung und Grüne, wenn sie sich nicht Pilzens Fragen aussetzen? Er ist für einen (Kampf-) Einsatz von UN-Iruppen, wenn dieser die einzige Möglichkeit böte, die Zivilbevölkerung zu schützen. Wäre es nicht besser, sich diese Frage zu stellen, anstatt sie in Form eines Konditionalsatzes als Antwort auszugeben? Kennt er einen vergleichbaren Kampfeinsatz, der irgendeine Zivilbevölkerung je geschützt hat?

Wie soll die „Sprengung von Hungerringen“ vonstatten gehen, ist dies bloß metaphorisch gemeint oder sollen die Serben, die solche „Hungerringe“ bilden, leibhaftig gesprengt werden?. Die Insassen welcher Lager sollen mit welchen Mitteln befreit werden? Durch den Einsatz von Fallschirmjägern? Wie sollen diese Lagerinsassen bei Befreiungsaktionen vor ihren Bewachern geschützt werden? Warum sollen Großwaffen nur „vielleicht“ zerstört werden? Wollen die zitierten UN-Experten nur die serbischen Panzer und Artillerie zerstören und nicht auch die dazugehörigen Soldaten?

Wird „das ganze“ nicht auch bei einer UN-Intervention „über Waffen und Nachschub“ entschieden? Woher sollen die Waffen und der Nachschub für eine Intervention kommen? Wo sollen sie Station nehmen? Wer soll die Soldaten dafür stellen? Wer soll diese wie hoch bezahlen? Wie soll Österreichs Beteiligung daran aussehen? Welche militärische Befehlsstruktur soll dafür Sorge tragen, daß eine Intervention im Pilz’schen Sinne eine in ihren Folgen eng begrenzte bleibt?

Oder geht das ganze auch ohne Einsatz von Bodentruppen ab? Was geschieht dann mit den bereits stationierten UN-Iruppen? Wen genau sollen die „amerikanischen Jagdbomber“ jagen, wen präzise die „britischen Kampfhubschrauber“ bekämpfen, um „den Weg zum Frieden“ zu verkürzen? Wer soll die zitierten amerikanischen Kampfbomber nach welchen Vorgaben befehligen, wer die britischen Kampfhubschrauber? Wer soll den Angehörigen allfälliger Opfer der Jagdbomber und Kampfhubschrauber erzählen, daß ihre Söhne, Väter, Onkel und Vettern nur gefallen sind, um den Weg zum Frieden zu verkürzen? Wer garantiert, daß diese Jagdbomber und Kampfhubschrauber nicht auch wahllos Mütter, Töchter, Großmütter, Enkel, Säuglinge treffen, vielleicht sogar geplant, um den Weg zu verkürzen?

Müssen, lieber Peter Pilz, wirklich wir uns den Kopf über „die politischen Ziele“ zerbrechen, die „mit einem kurzfristigen militärischen Einsatz“ erreicht werden können? Für wen sollen wir uns den Kopf zerbrechen? Glauben Sie, daß man auf Sie oder mich hören wird, wenn es um politische Ziele geht, oder gar um militärische Einsätze? Geht es nicht eher um persönliches politisches Gewissen? Wird das Ihre wirklich leichter im Fall einer Militärintervention von außen? Sind Deserteure dann nur noch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens Respektpersonen? Was werden Deserteure in jenen Staaten sein, aus deren Armeen eine UN-Eingreiftruppe rekrutiert werden könnte? Was konkret meinen Sie damit, wenn Sie die UN auffordern, „Zähne zu zeigen“?

Vor allem aber — und diese Fragen scheinen mir die wichtigsten: — was soll nach einer allfälligen Intervention geschehen? Werden die Machthaber in Belgrad eher wechseln, wenn amerikanische Bomben auf Serben fallen, wie begrenzt auch immer? Wird sich das Verhandlungsklima zwischen den jeweiligen Bevölkerungsgruppen dadurch bessern? Ist Ihr Dogma vom „ethnisch bunt gemischten Staat in heutigen Grenzen“ auf andere Staaten übertragbar und ist dieses wirklich wertvoller als jenes der gewaltfreien Konfliktlösung?

Und wenn Bosnien wirklich eine Generalprobe wäre, für den Umgang Europas mit seinen Konfliktherden, glauben Sie, die neuen „Reichsgründer“, die Sie „in den Startlöchern sehen“, lassen sich von einer UN-Intervention in Serbien von ihren Plänen abhalten? Welche Vorgänge übrigens rechtfertigen in diesem Zusammenhang Ihre gemeinsame Bezeichnung der politischen Führungen Serbiens, der Türkei und Rumäniens als „neue Reichsgründer“?

Folgt aus dieser Generalprobe auch der Ernstfall späterer Militärschläge gegen die Türkei, Rumänien oder wen auch immer? Auf Grund welcher „Reichsidee“ bezögen dann solche Militärschläge ihre Legitimation, was bedeutete es in diesem Zusammenhang, wenn die Generalprobe eine verpatzte wäre? Und was für eine „große Schleuse“ wäre es, die sich dann öffnete? Die große Flüchtlingsschleuse? Sollen die UN dann im europäischen Sinne der Flüchtlingsvermeidung auch in allen künftigen einschlägigen Konflikten intervenieren? Sehen Sie wirklich ein freies Kurdistan als „Kind der verheerenden amerikanischen Militäraggression am Golf“? Wird es ein freies Abchasien, Armenien, Nord- oder Südossetien geben, als Nebenprodukte anderer „verheerender Militäraggressionen“, die Sie gleichfalls begrüßen möchten?

Und wenn wir bei unserem Leisten bleiben, was bedeutet es für Österreich, wenn wir an zunächst einer Militärintervention teilnehmen? Wie sollen wir mit möglichen Folgen daraus umgehen, wenn wir uns nicht „hinter der Neutralität verschanzen“, wie Sie vorschlagen? Die Neutralität aufgeben? Nur befristet, auf Beschluß des Sicherheitsrates? Auf Beschluß der UN-Vollversammlung? Besser doch in die EG samt WEU? Oder gleich in die NATO? Oder nur für uns alleine aufrüsten, um uns, statt hinter der Neutralität, hinter militärisch veredeltem Stahl zu verschanzen? Werden wir dann ohne Abfangjäger auskommen, ohne Lenkwaffen? Wird es dann leider notwendig sein aufzurüsten? Oder ist es wirklich jetzt schon soweit, auch nach Anschauung der (Military-) Grünen?

Fragen stellen, lieber Peter Pilz — das möchte ich Ihnen gern zu Gute zu halten, so schwer es mir fällt — mag gemeinhin leichter sein, als Antworten geben. Dennoch sollte man nicht ganz darauf vergessen, gerade im Angesicht des kriegerischen Irrsinns bei unseren Nachbarn. Und wenn Sie schon kommende Generationen bemühen, um in den Friedensbewegten heute ein schlechtes Gewissen zu erzeugen, daß sie Mitschuld trügen an der Fortsetzung des Mordens in Bosnien (statt edel an ihm teilzunehmen), so lassen Sie sich eines gesagt sein: für ein reines Gewissen ist es erforderlich, sich noch weit mehr Fragen zu stellen, als ich es hiemit an Sie getan habe, ehe man dem gerechten Krieg das Wort redet. Eine Frage jedoch drängt sich mir abschließend noch auf, denn diese allein schon wäre geneigt, uns Antwort zu geben: in welchen Situationen denn, außer in Kindergarten und Tierexperiment, soll Gewaltfreiheit relevant sein, wenn nicht in solchen, wo „uns Gewalt einholt“?

* H. Sch. schrieb diesen Diskussionsbeitrag gegen P. P., jetzt Bundessprecher der »Grünen«‚ für den »Falter«, der ihn nicht gedruckt hat. Wir diskutieren gern. -Red.

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