MOZ, Nummer 50
März
1990
„Erneuerer“ und „Bewahrer“ in der KPÖ

Eine Gratwanderung

Ein Kommentar von Lutz Holzinger, Mitglied des neugewählten Zentralkomitees der KPÖ.

Der jüngste Parteitag der KPÖ hat ein deutliches Signal zur Erneuerung der Partei gesetzt. Am klarsten kam dies in den Streichresultaten bei der Wahl des neuen Zentralkomitees zum Ausdruck. Altgediente Politbüromitglieder (bisher der engere Führungskern) erhielten taxfrei einen Malus von gut 100 Streichungen.

Davon ausgenommen waren die beiden neuen Vorsitzenden Susanne Sohn und Walter Silbermayr. Sie bekamen damit freie Hand, der Partei neue Führungsstrukturen zu verpassen. Was mit der Bildung eines Arbeitsausschusses (statt des Polbüros) und der Aufwertung des Zentralkomitees als Entscheidungsorgan auch tatsächlich geschehen ist. Die weitere Nachjustierung inhaltlicher und organisatorischer Fragen ist nach entsprechender Vorausdiskussion einem außerordentlichen Parteitag bis spätestens Ende 1991 vorbehalten.

Man könnte meinen, daß ausgerechnet der KPÖ das Wunder geglückt ist — ganz im Gegensatz zu Schwesterparteien in Ost und West —, ziemlich bruchlos eine Rundum-Erneuerung in Gang zu setzen. Tatsächlich steht die Bewährungsprobe für das Projekt „KPÖ neu“ erst bevor. Die Begriffe „Bewahrer“ und „Erneuerer“ beschreiben keine einander feindlich gegenüberstehende Lager, sondern zwei gegensätzliche Pole. Zwischen ihnen entfaltet sich das Spannungsfeld, in das die differenzierten Haltungen der Mitglieder eingebettet sind. Nicht selten gehen Bruchlinien durch ein und dieselbe Person. Dennoch lassen sich abstrakt zwei Grundhaltungen herausschälen: Einerseits das Bedürfnis, alles unverändert zu lassen und nicht wahrzunehmen, daß den KommunistInnen die Fetzen um die Ohren fliegen. Andererseits das Interesse, alles neu zu machen und sich der Illusion hinzugeben, damit bereits eine Erfolgsformel gefunden zu haben.

Die überfällige Umgruppierung wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie zu einer Erneuerung des Marxismus führt. Was angesichts der stürmischen geopolitischen Veränderungen im Weltmaßstab kein leichtes Unterfangen ist. Die Implosion der Gesellschaftssysteme in den sozialistischen Staaten hat das bisher relativ stabile, im wesentlichen von den „Supermächten“ bestimmte Kräfteparallelogramm völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Plötzlich ist die „deutsche Frage“ wieder brennend aktuell. Und man muß sich fragen, ob die „Deregulierung“ der weltpolitischen Zusammenhänge nicht eine neue Todesspirale im imperialistischen Wettbewerb in Gang setzt.

Um sich in diesen Kardinalfragen der Menschheitsentwicklung Gehör zu verschaffen, wird die KPÖ dafür sorgen müssen, den gravierenden Vertrauensschwund der letzten beiden Jahrzehnte zu stoppen. Dafür war nicht nur die unreflektierte Orientierung an den sozialistischen Ländern, insbesondere der Sowjetunion, sondern auch die parteipolitisch enge Haltung ausschlaggebend, wie sie speziell in den Nationalratswahlkämpfen zum Ausdruck kam. Das parteiegoistische Interesse, wieder ins Parlament einzuziehen („Franz Muhri ins Parlament“ war mitunter explizite Wahllosung), wurde dabei mit rein quantitativen Sachforderungen verknüpft.

Tatsächlich war die soziale Wirklichkeit längst aus der Oberfläche materieller Existenzsicherung in die Funktionale einer den Menschen angemessenen Lebensweise gerutscht. Schon am Beginn der 70er Jahre war sichtbar, daß vom Monopolkapital ökonomische Krisen in vorgeschobene Bereiche ausgelagert wurden und sich in der Krise der Städte, des Verkehrs, der Infrastrukturen, der Bildung, des Gesundheitswesens usw. niederschlugen. Mittlerweile hat dieser Prozeß eine neue Wende genommen: Die Ein- und Endlagerung des unauflösbaren Widerspruchspotentials der herrschenden Gesellschaft in der Psyche der Individuen.

Verdinglichung und Entfremdung, Waren- und Geldfetisch hat Marx als Phänomene der „Verwurstung“ der Menschen im kapitalistischen Gesellschaftssystem sehr genau beschrieben. Und ihre Überwindung ist das eigentliche Hauptziel seiner Gesellschaftstheorie. Im Zuge der Herausbildung der Arbeiterbewegung verstellte die Behebung der rein materiellen Not diese Orientierung ebenso wie beim Aufbau des „Sozialismus“. Heute wird man jedoch wieder mit der Nase darauf gestoßen, daß in enger Verknüpfung mit den sogenannten globalen Fragen die Lebensweise der Menschen auf der Tagesordnung steht. Das beweisen einerseits das zunehmende psychische Elend und andererseits zahllose Initiativen von Gruppen und Individuen zur Emanzipation von bedrückenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen.

Die KPÖ hat dann eine Zukunft, wenn sie sich auf die humanen Grundintentionen von Marx besinnt und damit das Rüstzeug erwirbt, die längst herangereiften, aber unterdrückten und verdrängten Widersprüche der herrschenden Gesellschaft zum Tanzen zu bringen. Dies setzt voraus, im Sinne des „Manifests“ keine Sonderrolle zu beanspruchen, sondern lediglich kraft besserer Argumente und tieferer Einsicht Vertrauen zu erwerben.

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