FORVM, No. 140-141
August
1965

Eine Erinnerung an Martin Buber

Über Martin Buber, der am 13. Juni 1965 im Alter von 87 Jahren in Jerusalem starb, ist zum Gedenken sehr viel Ehrendes und Gründliches veröffentlicht worden, das meiste in der deutschen und schweizerischen Presse, das wenigste in der österreichischen — denn Buber war gebürtiger Wiener und entstammte einer seit Generationen im österreichischen Galizien ansässigen Gelehrtenfamilie. Grund genug, daß er Zeit seines Lebens den stärksten Widerhall im Ausland fand und daß auch die kompetenten Würdigungen seines Lebenswerks außerhalb Österreichs erschienen. Das wird sich im hier gegebenen Rahmen nicht mehr gutmachen lassen. Doch soll hier wenigstens eine Geschichte festgehalten werden, die Schlüssiges über Buber aussagt, eine Geschichte von persönlichem Gehalt (wie er sich den anderen und kompetenteren Nachruf-Autoren wahrscheinlich nicht erschlossen hätte), eine persönliche Erinnerung an Martin Buber.

Ich muß bei ihrer Wiedergabe einige Hemmnisse bewältigen, vor allem die unausweichliche Nötigung, auch von mir selbst zu reden (was in solcherlei Zusammenhängen immer sehr leicht mißdeutbar ist). Höffentlich kommt mir bei alledem die Geringfügigkeit meiner Rolle zustatten; ich hatte damals nichts weiter zu tun, als Bubers Worte auszulösen, und habe jetzt nichts weiter zu tun, als sie mitzuteilen.

Zum besseren Verständnis der Geschichte — sie liegt jetzt sechs oder sieben Jahre zurück — sei noch vorausgeschickt, daß es um meine persönliche Beziehung zu Buber weit weniger intensiv bestellt war als um die Verehrung, die ich schon als sehr junger Mensch für ihn empfand und die mich frühzeitig unter seinen geistigen und erzieherischen Einfluß brachte. Ihm persönlich bin ich im Lauf der Jahrzehnte höchstens vier- oder fünfmal begegnet, und nicht viel öfter kam es zu einem Briefwechsel. Anlaß des ergiebigsten war die hebräische Ausgabe meiner Novelle „Mein ist die Rache“, Anlaß des letzten war die Ankündigung eines Besuchs Martin Bubers in München. Und damit bin ich beim Thema.

Buber war nach München gekommen, um eine posthume Ausstellung des ihm befreundeten israelischen Malers Mordechai Kaufmann zu eröffnen, und wir hatten vereinbart, daß ich ihn nachher in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, wo er zu Gast war, aufsuchen sollte. Dort saß ich ihm dann also gegenüber, in einem erst noch tastenden und von meiner Seite ziemlich verlegen geführten Gespräch. Die Verlegenheit dauerte indessen nicht lange. Buber — wiewohl von eher kleinem Wuchs, wirkte er im Sitzen mit seinem wunderschönen Patriarchenkopf und seiner aufrechten Haltung geradezu imposant — Buber erkannte sehr bald, wo mich der Schuh drückte; aus der Hellsichtigkeit seiner achtzig Jahre kam ebenso unvermittelt wie unzweideutig die Frage:

„Und was tun Sie eigentlich?“

Ohne großen Nachdruck begann ich ihm meine Aktivitäten herzuzählen, deutete auf ein mitgebrachtes Heft des FORVM (das einen Vorabdruck aus seiner damals eben beendeten Bibelübertragung enthielt) und wollte näher darauf eingehen, als er mich unterbrach:

Das meine ich nicht. Ich meine: was arbeiten Sie wirklich? Es gibt doch eine wirkliche Arbeit für Sie? Sie müssen doch Bücher schreiben, oder nicht?

Sie halten die Zeitschrift, die mich daran hindert, in der Hand.

Buber sah zuerst mich und dann das Heft an, hielt es ein wenig seitwärts von sich ab und rieb das Papier ein paarmal zwischen Daumen und Zeigefinger:

Das ist Ihnen so wichtig?

Eben dieses Wörtchen „wichtig“ gab mir eine Antwort ein, von der ich glaubte, daß sie seiner Frage gewachsen wäre, und die mich überdies als gelehrigen Kenner seiner „Chassidischen Bücher“ ausweisen würde:

So etwas fragen Sie, Herr Professor Buber: Und gerade von Ihnen habe ich gelernt, daß Rabbi Susja auf die Frage, was er für wichtig halte, die Antwort gegeben hat: ‚Immer das, womit ich mich beschäftige‘!

Buber wiegte den Kopf, auf eine Art, die nicht sogleich klar werden ließ, ob sie Anerkennung oder Tadel bedeuten wollte. Es war ein Tadel, wenn auch ein nachsichtig und lächelnd geäußerter:

Hören Sie. Das hat nicht Rabbi Susja gesagt, sondern der Kobryner, und eigentlich nicht er, sondern seine Schüler haben einem Neugierigen, der wissen wollte, was ihrem Meister das Wichtigste im Leben sei, diese Antwort gegeben.

Er machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr.

Von Rabbi Susja stammt ein andrer Ausspruch. Rabbi Susja sagte: ‚Wenn ich einmal vor das Antlitz des Heiligen treten sollte, wird er mich nicht fragen: Warum bist du nicht Moses geworden? Er wird mich fragen: Warum bist du nicht Susja geworden?‘ Das ist es, was man uns von Rabbi Susja überliefert hat ...

Die Pause jetzt wurde noch länger und Bubers Lächeln noch inniger, nämlich noch mehr nach innen gekehrt; er schien in dieses Lächeln tatsächlich zu versinken. Dann wandte er sich voll zu mir:

„Aber“, sagte er, „es ist zulässig, die beiden Geschichten miteinander zu verwechseln.“

Unser Gespräch war damit noch nicht zu Ende. Die Geschichte, die ich von Martin Buber überliefern wollte, ist es.

Martin Buber

Der Fiedler

Wenige Monate vor seinem Tod schrieb Martin Buber dieses letzte, unverkennbar als Abschied vom Leben gemeinte Gedicht, das in seinem Nachlaß gefunden wurde.

Hier, am Weltrand, habe ich zur Stunde
Wunderlich mein Leben angesiedelt.
Hinter mir in grenzenloser Runde
Schweigt das All, nur jener Fiedler fiedelt.
Dunkler, schon steh’ ich mit dir im Bunde,
Willig, aus den Tönen zu erfahren,
Wes ich schuld ward ohne eigne Kunde.
Spüren laß mich’s! Laß sich offenbaren
Dieser heilen Seele jede Wunde,
Die ich heillos schlug, und blieb im Schein.
Eher, heiliger Spielmann, halt nicht ein!
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