Grundrisse, Nummer 1
März
2002
Marco Revelli:

Die gesellschaftliche Linke

Jenseits der Zivilisation der Arbeit

Münster: Westfälisches Dampfboot, 1999, 224 Seiten, Übersetzung aus dem Italienischen, im Original: „La sinistra sociale“ 1997, (Seitenzahlen der Zitate in Klammern)

Das Thema des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus zählt zweifellos zu den wichtigsten Themen, die jene Linke, die sich um die Reflexion der aktuellen gesellschaftliche Entwicklung bemüht, zu diskutieren hat. Der italienische Autor Marco Revelli hat ein Studie vorgelegt, in der nicht nur die wesentlichsten Charakteristika von Fordismus und Postfordismus dargestellt werden sondern zugleich der Anspruch erhoben wird, die durch diese Transformation bewirkte Krise der Linken zu verstehen und eine Perspektive für gesellschaftskritisches Handeln zu entwickeln.

In den ersten Abschnitten versucht Revelli den Ausdrücken „Fordismus“ sowie „Postfordismus“ inhaltliche Tiefe zu verleihen. Fordismus konstituierte sich für Revelli aus drei Momenten, dem „Technologischen Paradigma“, dem „Akkumulationsregime“ und einer spezifischen „Weise sozialer und ökonomischer Regulierung“. Das „technologische Paradigma“ benennt den tayloristischen Arbeitsprozeß, gekennzeichnet durch starre Trennung zwischen Befehlenden Ausführenden, einer weitgehend entqualifizierten und vermaßten Arbeitskraft, weittestgehender Zergliederung der Arbeitsschritte und der massiven Nutzung von „Verkettungstechnologien“ (Fließband). Das „Akkumulationsregime“ beruhte auf wachsende Produktivität der Arbeit, Seigerung der Stückzahlen und analog dazu steigenden Löhnen. Es verband also Massennachfrage mit der vollen Nutzung der Produktionskapazitäten ermöglichte in Folge wachsende, stabile Profite. Die „Weise sozialer und ökonomischer Regulierung“ beruhte auf monopolartiger Preisbestimmung, Anerkennung und Einbindung gewerkschaftlicher Organisationen sowie einem System öffentlicher Sicherheit. „Jede dieser drei Ebenen baute auf einer Art von Innovation auf – technisch (die Standardisierung der Produkte), sozial (die Rationalisierung gesellschaftlicher Prozesse) und institutionell (die Nationalisierung der Massen und größte Macht des Nationalstaates)“ (37) – so der Autor.

Den Gegensatz von Fordismus und Postfordismus illustriert Revelli durch die Metaphern des „Kristalls“ und des „Rauchs“. Der Kristall steht für den Fordismus: starr, durchgeplant, unflexibel und durchkonstruiert. Der Rauch für den Postfordismus: „Im Gegensatz dazu stellt der Rauch den proteischen (d.h. wandelbaren), veränderbaren, ungreifbaren und in gewisser Hinsicht ‚opportunistischen‘ Charakter der neuen Unternehmenslogik dar, gemäß derer sich die Strukturen in der Luft auflösen, sich in ihr ausbreiten und jede Nische besetzen; sie heften sich an die Ströme, die das Umfeld durchqueren und lassen sich von ihnen unendlich oft umgestalten, ohne Widerstand zu leisten, sondern indem sie jeder neuen Konfiguration entsprechen und sie ‚in Wert setzen‘.“ (66f) Neben fast poetischen Formulierungen – wie die soeben zitierte – verwendet der Autor eine ganze Reihe von Statistiken, Zahlen und sehr konkreten Beschreibungen. Besonders plastisch ist seine Gegenüberstellung der Arbeitsbedingungen jenes Werkes, das dem Fordismus den Namen gegeben hat, und postfordistischen Firmen wie Ikea und Nike. „River Rouge“, jenes Werk, in dem das berühmte Modell „T“ produziert wurde, nahm 1.115 Hektar Fläche ein, verfügte über 50 Kilometer Förderbänder, 93 Meilen internem Eisenbahnnetz und bei voller Auslastung, über 105.000 Beschäftigte. 1908 kam in den USA ein 1 Automobil auf 509 Einwohner, 1995 betrug das Verhältnis 1 zu 1,2. Tatsächlich waren in den 20er Jahren in den USA alle Bedingungen des Fordismus in Reinkultur gegeben: Ein geradezu unbeschränkter Markt, der jene noch so gestiegene Produktion begierig aufnahm. Die linear steigende Produktion verbilligte das Modell „T“ ständig, bis es zum Gegenwert von 3 Monatslöhnen eines in Fordwerk beschäftigten Arbeiters zu erwerben war. Das bedeutete einen scheinbar schrankenlosen Zirkel der Akkumulation. Die steigende Produktion verbilligte das Produkt und machte es immer mehr zum Konsumobjekt eben jener ArbeiterInnen, die in den fordistischen Werken arbeiteten.

Entscheidend ist, und hier ist wohl der erste kritische Einwand nötig, daß Revelli das Ende des Fordismus wohl zutreffend beschreibt, eine analytische Erklärung aber schuldig bleibt. Daß der Markt für Automobile bei einem Sättigungsgrad von 1 Autos zu 1,2 Personen stagniert, ist wohl klar, erklärt aber nicht, warum der Fordismus nicht auf andere Produkte ausweichen konnte und vor allem, warum andere Bereche der Erde nicht in den Fordistischen Zirkel eingetreten konnten. Revelli ist sicher zuzustimmen wenn er schreibt, daß der Postfordismus gewissermaßen die „Quadratur des Kreises“ zu lösen hat, also Strategien finden muß, „die es erlauben, die Kosten bei gleichbleibenden Profiten zu senken, ohne die Produktsvolumina zu erhöhen.“ (47) Auch wenn er keine analytische Krisentheorie entwickelt, so ist doch seine detaillierte Darstellung der neuen Akkumulationsstrategien beeindruckend. Ein Beispiel ist der Konzern Nike. Bei Nike selbst arbeiten weltweit nicht mehr als 8000 Personen im Management, im Design und in der Vermarktung, die Produktion selbst wird von etwa 75.000 ArbeiterInnen erledigt, die von (scheinbar) unabhängigen Subunternehmen angestellt werden. Und betrachtet man deren Löhne, so wird der Bruch zum Fordismus sonnenklar. Die vor allem in Indonesien beschäftigten Frauen und Mädchen verdienen um die 250 ATS (18 €) im Monat! [1] Das bedeutet im Klartext, die Arbeiterinnen könne sich das Produkt, das sie herstellen, nicht kaufen, sie stehen außerhalb des Zirkels Produktion – Konsumtion.

Im nächsten Abschnitt – „Die Not der Politik“ betitelt – zieht Revelli einige Konsequenzen aus seiner Interpretation des Postfordismus. Für den Autor ist es offenbar evident, daß der Nationalstaat massiv an Bedeutung verliert. Der Fordistische Kapitalismus entfaltete sich im Rahmen des Nationalstaates, der laut Revelli auf zwei Prozessen beruhte. Erstens auf der Ausbildung einer einzigen souveränen Herrschaft, die ihre Macht über ein klar begrenztes Territorium ausbreitete, und zweitens einer politischen Besetzung des öffentlichen Raumes, in dem sich wohlgeordnet das Spiel Konflikt – Konsens entfaltete. Beide Elemente gehören tendenziell der Vergangenheit an. An die Stelle des homogenen Raumes der Herrschaft, das heißt des Nationalstaates, ist ein Prozeß der „Refeudalisierung“ (108) zu konstatieren. Der homogene Machtraum zerfällt in verschiedene Territorien, die von diversen Mächten, wirtschaftlichen und/oder wirtschaftlich-politischen durchkreuzt werden, und die zueinander zunehmend in Konkurrenz treten. Originalton Revelli: „Von der unabhängigen Variablen verkehrt er (der Staat, K.R.) sich in eine untergeordnete Rolle. Und verliert auf diesem Weg jenes , das die moderne politische Theorie genau als Essenz der Staatlichkeit und Souveränität verstanden hatte: in der neuen globalisieren Ökonomie sind die ‚Flüsse‘ anstatt der ‚Orte‘ der privilegierte Sitz der effizienten Entscheidungen (Geldflüsse, Informationsflüsse, Flüsse organisatorischer Ressourcen ...)“ (112) Die verschiedenen Territorien (Regionen), werden vom Kontext in der sich die fordistische Produktion vollzogen hat selbst zum konkurrierenden Element, zum Produktionsfaktor. Wobei Revelli den Begriff Territorium nicht ausschließlich geographisch, sondern auch sozial verwendet. Während im Fordismus der Konflikt einerseits auf der Zentralität der Fabrik und andererseits auf den Einfluß auf die Staatspolitik aufgebaut war, treten im Postfordismus die Territorien zu einander in Konkurrenz – so Revellis düsterer Befund.

Auch hier drängen sich kritische Einwände, zu salopp wird das Ende des Nationalstaats verkündet. Sicher – es ist zweifellos richtig, daß dieser an Bedeutung verliert. Und es ist weiters richtig, daß die postfordistische Ökonomie transnational ist. So sind auch die Zahlen, die Revelli in diesem Zusammenhang nennt, beeindruckend und vielsagend. Das Budget von General Motors mit 110 Milliarden $ übersteigt das BIP aller Länder des Trikont ohne Brasilien, Mexiko und Indien. BMW zahlte 1988 noch 545 Millionen DM an Steuern, 1992 waren es nur noch 31 Millionen, die in die deutsche Staatskasse floß, 1993 wurden bereits 32 Milliarden an Steuerrückforderungen geltend gemacht – und auch an BMW ausbezahlt. Während die Aufwendungen in Deutschland gebucht wurden, konnten die Gewinne finanztechnisch in die Steueroasen verlegt werden, daher das Plus. Doch zwischen der letztlich sehr saloppen Aussage – die Bedeutung des Nationalstaates schrumpft – und einer präzisen Bestimmung der neuen Rolle des Staates ist doch ein gewaltiger Unterschied. Nicht, das ich eine ausgefeilte Position Revelli entgegen halten könnte, das Thema muß einfach genauer diskutiert werden. Immerhin ist daran zu erinnern, daß kapitalistische Verhältnisse ohne Rechtsstaatlichkeit nicht existieren können, und weiters soll auch die bedeutende ökonomische Rolle des Staates nicht übergangen werden. In der Regel beträgt der Anteil am Budget in westlichen Staaten ein Drittel des BIP, für Österreich sind das 800 Milliarden Schilling oder rund 57 Milliarden $. Obwohl Revelli die Herausbildung der postfordistischen Machtströme recht plastisch analysiert, bleibt eine systematische Bestimmung des Verhältnisses Kapital – Staat aus.

Im letzten Drittel seines Buches versucht Revelli die gesellschaftlichen Aufgeben der Linken näher zu umreißen. Ausgangspunkt dafür ist sein Befund, daß der Poststrukturalismus dazu tendiere, jene gesellschaftlichen Großgruppen, die im Fordismus geschaffen wurden, zu zersetzen, „ohne daß am Horizont irgendein anderer Prozeß der Wiederzusammensetzung, sei er auch nur embryonal, zu erkennen wäre.“ (143) Obwohl Revelli durchaus dem Operaismus nahesteht, sind seine Schlußfolgerungen weitaus pessimistischer als etwa jene Antonio Negris, der überall die Macht der Multitude konstatiert. Während Negri die ontologischen Bedingungen für die revolutionären Subjekte als gegeben erachtet, plädiert Revelli für die bewußte Konstitution eben jener Subjekte. Die Linke habe in die „Entstehung und Strukturierung des sozialen Geflechts“ (142) einzugreifen, eines Geflechts, das nach seiner Auffassung der Poststrukturalismus ersatzlos zerstört würde. Sehr rasch zeigt Revelli, was er eigentlich damit meint. Nach seiner Auffassung kommt dem Dritten Sektor, also der gesellschaftliche Bereich jenseits von Markt und Staat, zunehmende Bedeutung zu. Der Autor ist freilich vom unkritischen „Es lebe die Zivilgesellschaft“ Gejodle meilenweit entfernt. Der Dritte Sektor ist bloß der Schauplatz, an dem zwei antagonistische Vergesellschaftmodelle miteinander konkurrieren. Der völligen Vermarktung des Sozialen stehe eine neue „solidarische Ökonomie“ (149), neue Formen der Gemeinschaft gegenüber. Der Kampf zwischen Kapitalismus und seinen Alternativen findet innerhalb dieses Sektors statt. „Denn von dessen Erfolg wird es abhängen, ob die aktuelle Tendenz, daraus eine subalterne Funktion für die Unterstützung des Rückzugs des Sozialstaats und eine bisher ungekannte Durchdringungskraft des Marktes zu machen; oder, im Gegenteil, die Möglichkeit seine Arbeitsprozesse mit Antikörpern gegen den Despotismus der generalisierten Ökonomie zu durchziehen.“ (157) Gerade dieser Abschnitt ist voll scharfsinniger Überlegungen zu den Grenzen, der Bedeutung und der Problematik des sogenannten Dritten Sektors. Auch der notwendige Verweis auf Polanyi und Tönnies fehlt nicht.

Insgesamt ist sein Buch eine sehr materialreiche und wohl überlegte Analyse des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus; eine ausgezeichnete Grundlage für jede Diskussion zu diesem Thema.

[1Nicht verschwiegen werden soll die Information, daß der Basketballspieler Michael Jordan an seinem Werbevertrag mit Nike mehr verdient, als alle indonesischen Arbeiterinnen im Jahr zusammen, die für diesen Konzern arbeiten.

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