FORVM, No. 191/I
November
1969

Der konsequente Habermas

Soziologie und Erkenntnistheorie als Einheit

Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Theorie 2, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1968

Alte und neue Marxisten, die gegen den revisionistischen Praktizismus der Sozialdemokraten wettern, üben nur eine orthodoxe Praxis, wenn sie die Theorie nach ihrer Brauchbarkeit einschätzen und damit angemaßte Autorität der Kritik entziehen. Unter dem Vorwand, man müsse handeln, wird die theoretische Diskussion zur ideologischen Taktik zwischen organisierten Kontrahenten erniedrigt, von denen Begriffe und Gedanken als Werkzeuge der Agitation und abgefeimter Lüge benützt werden. Die unpraktische Theorie hat in einer solchen Situation wenigstens die politische Bedeutung, jeglichen Absichten unkontrollierter Organisationen und herrschender Cliquen nicht tauglich zu sein. Von der Abneigung gegen Theorie führt ein bequemer Weg zum Fetischismus der großen Organisation, die einzig Weltanschauungen kennt. In Österreich, wo die durch den permanenten Bildungsnotstand ausgezehrte Intelligenz inklusive ihrer Erziehungs- und Meinungsinstitutionen, diffamierte Randgruppen abgerechnet, stockkonservativ und in archaischen Kategorien befangen ist, die jede Möglichkeit radikaler Politik ausschließen, wäre ein Verzicht auf Theorie identisch mit dem auf Praxis.

Handfeste Praxis zu kommandieren ist um so sinnloser, als die Rekonstruktion einer die Intentionen von Marx durchführenden und dem Stand der Epoche angemessenen Theorie der Gesellschaft noch keineswegs abgeschlossen ist. Darum hat Jürgen Habermas sein Buch über „Erkenntnis und Interesse“, in dem die Frankfurter Schule die avançierteste Stellung bezieht, vorsichtig ein Prolegomenon zur Theorie genannt. Habermas hat 1963 in der Adorno-Festschrift einen großen Essay veröffentlicht, [1] in dem er implizit das Programm der materialistischen Erkenntnistheorie entwirft, das er fünf Jahre später in „Erkenntnis und Interesse“ ausgeführt hat. Die materialistische Erkenntnistheorie klärt das Verhältnis zwischen einer Dialektik, welche die Bewegungsgesetze der ganzen Gesellschaft zu erkennen beansprucht, und einer positivistischen Sozialwissenschaft, die dieses Unternehmen als eitle Metaphysik ablehnt und Rationalität ausschließlich für die exakte Methode empirischer Forschung annektiert. Die von Habermas in „Erkenntnis und Interesse“ vollzogene immanente Kritik an der positivistischen Wissenschaftstheorie hat der orthodoxe Marxismus versäumt: da er den „historischen Materialismus“ als einen Spezialfall des „dialektischen Materialismus“, folglich als eine Naturwissenschaft versteht, kann er gegen die Ausdehnung naturwissenschaftlicher Methoden und Theorienbildung in den Gesellschaftswissenschaften (der Hauptpunkt in dem von der Frankfurter Schule ausgelösten Positivismusstreit der deutschen Soziologie) [2] nichts Triftiges einwenden.

Eine dialektische Theorie der Gesellschaft bildet auf keinen Fall ein Surrogat der empirischen Forschung und ihrer analytischen Methode: in deren Kritik hat Dialektik sich zu legitimieren. An diesem Kriterium muß „Erkenntnis und Interesse“ beurteilt werden. „Die heute fällige Dialektik“, sagt Adorno, „ist nicht nur Anklage des herrschenden Bewußtseins, sondern auch ihm gewachsen, der zu sich selbst gebrachte, dadurch freilich sich negierende Positivismus.“ [3] Es charakterisiert die metaphysische Schulphilosophie, daß sie das Feld materialer Forschung bereitwillig dem Positivismus überläßt, sich in die unangefochtene Sphäre von Klassikerinterpretationen und Grundlagenproblemen zurückzieht und schließlich der Frankfurter Schule die Auseinandersetzung mit dem Positivismus auch noch zum Vorwurf macht — bereitwillig hat sich die akademische Metaphysik an ihr bescheidenes Stübchen im Hinterhof der Wissenschaften gewöhnt. Dagegen erhebt die dialektische Theorie den Anspruch, die positivistische Wissenschaft an Rationalität und Konkretion überholen zu können. Solche Arroganz ist dann gerechtfertigt, wenn Dialektik den Positivismus mit seiner eigenen Waffe, nämlich in der methodologischen Reflexion, zu schlagen imstande ist. Dialektik muß, wie Habermas 1963 schrieb, „die analytisch-empirischen Verfahrensweisen an deren eigenen Anspruch immanent kritisieren. ... Dialektisches Denken (ist), solange es sich ernst nimmt, verpflichtet, die Auseinandersetzung in der von der Gegenpartei bestimmten Dimension aufzunehmen: von deren eigenen Positionen ausgehend, muß es immerhin den erfahrungswissenschaftlichen Rationalismus nach den anerkannten Maßstäben der partiellen Vernunft zu der Einsicht nötigen können, daß die verbindliche Reflexion über ihn selbst als eine Form unvollständiger Rationalisierung hinausdrängt.“ [4]

Diese Vorschrift hat Jürgen Habermas in seinen Veröffentlichungen seit 1963 mit bemerkenswerter Systematik verfolgt: in der umfassenden Studie „Zur Logik der Sozialwissenschaften“, den im Band „Technik und Wissenschaft als Ideologie“ versammelten Essays und in dem kritischen, Popper betreffenden Buch „Methodologie als Erkenntnistheorie“ von dem Habermas-Schüler Albrecht Wellmer. „Erkenntnis und Interesse“ besiegelt den Abschluß dieser großangelegten Studien zur materialistischen Erkenntnistheorie. Habermas stellt sie bezeichnenderweise nicht dogmatisch als pure Doktrin dar, sondern rekonstruiert sie in Kritik und Referat der geschichtlich signifikanten Theoreme und ihrer Problemstellungen aus den während der Entstehung der modernen Wissenschaft verlassenen Stufen der Reflexion, deren Erinnerung und Aufarbeitung das Thema von „Erkenntnis und Interesse“ ausmacht. Denn autonom — vom vorgegebenen geschichtlichen Material unabhängig — läßt sich Dialektik, die ja die Einheit von Methode und Gegenstand beansprucht, außerhalb des absoluten Idealismus wohl kaum darstellen: schon daran läßt sich erkennen, was man von den im Ostblock ausgeheckten „Gesetzen der Dialektik“ halten soll. In der materialistischen Erkenntnistheorie, wie Habermas sie konzipiert, wendet sich die Dialektik — die positivistische Kritik an der metaphysischen Philosophie in ihrem permanenten Lernprozeß aufnehmend und zugleich überbietend — kritisch wider ihre eigene Naivität: „Mit Hegel entsteht das fatale Mißverständnis, als sei der Anspruch, den vernünftige Reflexion gegen abstraktes Verstandesdenken erhebt, gleichbedeutend mit der Usurpation des Rechtes eigenständiger Wissenschaften durch eine nach wie vor als Universalwissenschaft auftretende Philosophie.“ [5] Marx hat dieses Mißverständnis nicht beseitigt, und darum konnte der Marxismus, nachdem Engels persönlich die Dialektik zum kosmologischen Gesetz degradiert hatte, als totalitäre Weltanschauung sich aufspreizen, die jeden Versuch radikaler Gesellschaftskritik heute noch belastet.

Das 1/2 Herz der Philosophen

Wenn der materialistische Historiker nach der These Walter Benjamins die Geschichte nicht der Sieger, sondern der Niederlagen zu schreiben hat, so bestünde eine materialistische Philosophiegeschichte aus der Darstellung der von den Philosophen nur halb verstandenen und halbherzig gelösten Aufgaben — eben der vom zweideutigen Fortschritt des Geistes verlassenen Stufen der Reflexion, die Jürgen Habermas virtuos an den Auseinandersetzungen zwischen Kant und Fichte, Hegel und Kant, Marx und Hegel, an der Vorgeschichte der Phänomenologie des Geistes und am Schicksal der Selbstreflexion bei Peirce, Nietzsche und Freud beschreibt; zumal die Kapitel über Peirce und Freud mit Recht berühmt geworden sind. Die eminent dialektische Darstellung in „Erkenntnis und Interesse“ begnügt sich nicht mit einem historischen Referieren oder mit der Aufdeckung philosophischer Kunstfehler — zugleich historisch und systematisch verfahrend, an der individuellen Theorie ein allgemeines Problem entwickelnd, rettet Habermas gegen das bornierte Selbstverständnis der Philosophen die Wahrheit ihrer Philosophien. Dialektik behält in der Kritik an feindlichen Theorien nicht nur recht. In der Auseinandersetzung mit dem Gegner, den sie osmotisch aufzehrt, wird auch sie belehrt und verändert: gerade als unnachgiebige Kritik ist Dialektik unendlich nachgiebig. Sie mästet sich an der Kraft ihrer Gegner. (Daß dieses parasitäre Moment dialektischen Denkens in Marcuses Polemik gegen den angelsächsischen Szientismus gänzlich fehlt, begründet die Schwäche des Buches vom „Eindimensionalen Menschen“!) Nicht der Positivismus muß sich vor der Dialektik legitimieren, vielmehr die Dialektik ihrer Natur nach vor dem Positivismus.

Die klassische Form materialistischer Dialektik war die Kritik der politischen Ökonomie. Marx konnte geradezu und ohne methodologische Umschweife die Doktrinen der bürgerlichen Wissenschaft ihrem Inhalt nach kritisieren, weil er an seinem geschichtlichen Ort keine Rücksicht auf eine differenzierte Gestalt sozialwissenschaftlicher Methode zu nehmen brauchte. Deswegen hat er die nach dem Urteil von Habermas in seiner Hegelkritik sehr wohl angelegten Elemente einer materialistischen Erkenntnistheorie vernachlässigt. Diese Unterlassung hat sich zweifach gerächt: dem Positivismus blieb Spielraum für eine Idealismuskritik, die von Rechts wegen allein Marx zugestanden hätte, und Marx selbst lernte nicht, zwischen einer Naturwissenschaft und seiner Gesellschaftskritik zu unterscheiden. Das Fehlen der materialistischen Erkenntnistheorie hat zur Verwirrung über den methodischen Status der Gesellschaftswissenschaft und zu einem Dualismus in ihrer Methode beigetragen: der geisteswissenschaftlichen, an der Auslegung autoritärer Texte geschulten Hermeneutik steht die am Vorbild der exakten Naturwissenschaften sich orientierende analytische Wissenschaftstheorie gegenüber. Das ist das Resultat des Verfalls der Erkenntnistheorie zur Methodologie: ein geschichtlicher Prozeß, den Habermas in „Erkenntnis und Interesse“ rückgängig machen will. Ohne Erkenntnistheorie ist der Dualismus von Hermeneutik und analytischer Wissenschaftstheorie nicht aufzuheben. Während die Hermeneutik sich selbst als einen Teil der in der Gesellschaft schon vorhandenen Vernunft auffaßt, entfernt der Positivismus die rationale Erkenntnis so weit von der Gesellschaft, daß er sie von Naturprozessen nicht länger unterscheiden kann.

Der Verfall der Erkenntnistheorie zur Methodologie, dessen letztes Stadium Albrecht Wellmer in seinem Buch über Popper beschreibt, verdunkelt die Einsicht in den transzendentalen (und nicht bloß empirischen) Zusammenhang von Erkenntnis und Gesellschaft. Die Methodologie löscht konsequent jede Erinnerung an menschliche Aktivität im Geltungsbereich der rationalen Erkenntnis aus, indes die Erkenntnistheorie im Begriff des transzendentalen Subjekts die Erinnerung menschlicher Aktivität im Erkennen idealistisch verkleidet bewahrt. Aus der alten Metaphysik übernimmt die positivistische Methodologie den Anspruch rationaler Erkenntnis auf Unabhängigkeit und Distanz von ihrem Objekt. Der Fortschritt der Wissenschaftstheorie von Ernst Mach bis Karl Popper besteht in der Vergrößerung des Abstands der positivistisch gereinigten Erkenntnis von der empirischen Welt: Poppers Falsifikationsprozeß übertrifft das Verifikationsprinzip des Wiener Kreises, weil es weniger Aussagen über die empirische Welt antizipiert — zum Beispiel fordert es nicht die Gleichheit des logischen Aufbaus der Theorie mit dem logischen Aufbau der Welt. Im logischen Positivismus des frühen Wittgenstein und Carnap sollte die wissenschaftliche Theorie gleichsam mit ihrer vollen Ausdehnung auf der Welt aufliegen; eine nach Poppers Modell konstruierte Theorie berührt die Welt nur noch punktuell. Der zeitgenössische Positivismus betont immer wieder den analytischen, inhaltsleeren Charakter der Logik, die nichts über die empirische Welt aussagen darf; sonst würde ja die Logik der Forschung den zu erforschenden Gegenstand verändern und die Methode das Ergebnis der Forschung präjudizieren.

Im Positivismus triumphiert die Metaphysik über sich selbst: In der Trennung von analytischer Methode und empirischen Tatsachen setzt sich insgeheim die alte ontologische Differenz von Idee und Realität radikalisiert fort. Am Beispiel des metaphysischen Erbes in der positivistischen Methodologie stellt sich freilich heraus, daß die Doktrinen der Metaphysik weder Leerformeln noch simple Irrtümer sind, sondern der Ausdruck tief in der Verfassung der Gesellschaft liegender und verborgener Interessen, deren Durchsetzung gerade das Fehlen adäquaten Bewußtseins voraussetzen mag. Denn die überschwengliche Reinheit der analytischen Methode, ihre absolute Distanz zur Gesellschaft, verteidigt sich einzig darum so heftig gegen die spezifischen Interessen der Forscher selbst oder anderer gesellschaftlicher Gruppen, um desto erfolgreicher das fundamentalste Interesse der Gesellschaft verfolgen zu können: die Beherrschung der Natur durch die in den gesellschaftlichen Arbeitsprozessen ihr Leben fristenden Menschen. Die überspannte Transzendenz wissenschaftlicher Erkenntnis zu ihren Objekten ist ein Indiz der überaus großen Härte, mit der die kollektiv arbeitenden Menschen als ein Teil der Natur dieser ihre Lebensbedingungen abzwingen müssen. Das Mysterium der wissenschaftlichen Interesselosigkeit ist das universalste Interesse schlechthin: das an der Selbsterhaltung und Daseinsverlängerung des Kollektivs. Dieses Interesse, ohne das wissenschaftliche Forschung weder möglich noch sinnvoll wäre, ist so stark und so zwingend, daß die gegen die Gesellschaft sich abhebende rationale Erkenntnis es ohne Schaden verleugnen kann: „Weil sich die Wissenschaft die Objektivität ihrer Aussagen gegen den Druck und die Verführung partikularer Interessen erst erringen muß, täuscht sie sich andererseits über die fundamentalen Interessen hinweg, denen sie nicht nur ihren Antrieb, sondern die Bedingungen möglicher Objektivität selber verdankt.“ [6]

Indem Habermas den Schein des Objektivismus und der Interesselosigkeit am Selbstverständnis der positiven Wissenschaft der Kritik unterzieht, tritt in das Zentrum der materialistischen Erkenntnistheorie an die Stelle von Kants transzendentalem Subjekt die materialistische Synthesis: Arbeit als erkenntnistheoretische Kategorie. Im Prozeß der Naturbeherrschung schaffen die Menschen selbst die transzendentalen Bedingungen, unter denen sie Natur wahrnehmen und erkennen. Naturgesetze und Basissätze sind nicht Abbilder der Realität, sondern das Resultat menschlicher Auseinandersetzung mit der Natur. Auf diese Weise werden die klassischen Bestimmungen der Erkenntnistheorie ins Handfest-Materialistische umgewandelt: „Synthesis im materialistischen Sinne unterscheidet sich von dem in der idealistischen Philosophie durch Kant, Fichte und Hegel entwickelten Begriff zunächst dadurch, daß sie keinen logischen Zusammenhang herstellt. Sie ist nicht die Leistung eines transzendentalen Bewußtseins, nicht das Setzen eines absoluten Ich oder gar die Bewegung eines absoluten Geistes, sondern die gleichermaßen empirische wie transzendentale Leistung eines sich historisch erzeugenden Gattungssubjektes. ... Wenn sich Synthesis nicht im Medium des Denkens, sondern des Arbeitens vollzieht, wie Marx annimmt, dann ist das Substrat, in dem sie ihren Niederschlag findet, das System der gesellschaftlichen Arbeit und nicht ein Zusammenhang von Symbolen, Anknüpfungspunkt für eine Rekonstruktion der synthetischen Leistungen ist nicht die Logik, sondern die Ökonomie.“ [7]

Wissenschaft, Technik und Ökonomie sind die drei großen Subsysteme des instrumentalen Handelns, in dem die Menschen ihre Kontrolle über die Natur ausüben. Die klarste theoretische Form des instrumentalen Handelns ist die Logik. Dagegen steht das kommunikative Handeln nicht in den Zusammenhängen von Naturherrschaft; es bildet die Sphäre gewaltloser Verständigung zwischen den Individuen. Ihre Technik ist die Rhetorik. Habermas hat das Verhältnis zwischen instrumentalem und kommunikativem Handeln in „Erkenntnis und Interesse“ mit einer treffenden Wendung so beschrieben: „In Schlußfiguren läßt sich denken, jedoch kein Dialog führen. Ich kann für eine Diskussion durch Schlußfolgerung Argumente gewinnen, aber ich kann nicht schlußfolgernd mit einem Gegenüber argumentieren.“ [8] Das Kapitel über Peirce ist dem Nachweis gewidmet, daß das instrumentale Handeln der Naturbeherrschung vom kommunikativen Dialog, der in der Umgangssprache geführt wird, abhängig ist: „Die Kommunikation der Forschenden erfordert einen Sprachgebrauch, der nicht in die Schranken technischer Verfügung über vergegenständlichte Naturprozesse gebannt ist. Er entfaltet sich aus symbolisch vermittelten Aktionen zwischen vergesellschafteten Subjekten, die sich reziprok als unverwechselbare Individuen erkennen und anerkennen.“ [9] Es ist nicht schwer zu sehen, daß Habermas mit der Teilung von instrumentalem Handeln und kommunikativem Handeln dem alten marxistischen Thema von Überbau und Unterbau eine neue Wendung gegeben hat. Dem kommunikativen Handeln, überhaupt der Selbstreflexivität der Sprache, ist nicht die anaIytische Wissenschaftstheorie, sondern allein eine hermeneutisch-interpretierende Wissenschaft angemessen: dafür greift Habermas auch auf Freud zurück, nicht um Psychoanalyse und Marxismus zu kombinieren, sondern um an der psychoanalytischen Technik die Einheit von Theorie und Therapie darzustellen.

Das Vorbild für „Erkenntnis und Interesse“ ist freilich die Phänomenologie des Geistes. Auch wenn Habermas ihr Halbherzigkeit vorwirft, so bleibt sie doch exemplarisch für die Vereinigung von Erkenntnistheorie und Gesellschaftstheorie. Aufbau und Gliederung von „Erkenntnis und Interesse“ verdanken der Phänomenologie sehr viel, zumal dem Verfahren der bestimmten Negation: „Ein gleichzeitig durch kognitive Leistungen und sedimentierte Haltungen definierter Zustand kann nur als analytisch erinnerter überwunden werden. Ein vergangener Zustand, der abgeschnitten und bloß verdrängt wäre, behielte seine Gewalt über den gegenwärtigen.“ [10]

[1Jürgen Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik in: Zeugnisse, Festschrift zum 60. Geburtstag von Th. W. Adorno, Frankfurt, 1963.

[2„Die konkurrierenden, in den Sozialwissenschaften ausgebildeten Ansätze stehen ... in einem Zusammenhang, der sich negativ dadurch herstellt, daß sich der Apparat allgemeiner Theorien der Gesellschaft nicht in gleicher Weise überstülpen läßt wie den vergegenständlichten Naturprozessen.“ (Jürgen Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Sonderheft der Philosophischen Rundschau, Tübingen, 1967, p. 5).

[3Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt, 1966, p. 296.

[4ürgen Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik, zitiert nach: Logik der Sozialwissenschaften, ed. Topitsch, Köln-Berlin 1965, p. 300.

[5Erkenntnis und Interesse, p. 35.

[6Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt 1969, p. 160.

[7Erkenntnis und Interesse, pp. 43 f.

[81. c. p. 176.

[91. c. p. 176.

[101. c. pp. 28 f.

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