Wurzelwerk, Wurzelwerk 23
August
1983

Der Einfluß der Sozialpartnerschaft auf die Gewerkschaftsdemokratie

Einer Informationsschrift der „Gewerkschaftlichen Einheit“, seit Jahren auf marxistischem Konfrontationskurs mit dem ÖGB, entnahmen wir folgende Passagen:

Foto: Bakunin

Um ihre Politik wirksam durchsetzen zu können, ist die ÖGB-Führung bestrebt, Auseinandersetzungen auf Betriebsebene unter Kontrolle zu halten und jede Initiative von unten einzuengen oder in ihre Politik zu integrieren. Die Gewerkschaftsbasis ist von der Willensbildung im ÖGB praktisch ausgeschlossen. In Geheimverhandlungen werden alle wesentlichen Fragen zwischen Unternehmern und der Gewerkschaftsspitze vereinbart.

Nicht die diversen statutarisch vorgesehenen Gewerkschaftsorgane bilden die Zentren der Information, Diskussion und Entscheidungsfindung. Ihre Aufgabe wird auf die nachträgliche Zurkenntnisnahme der erzielten Verhandlungsergebnisse reduziert.

Den 1,6 Mio. Mitgliedern wird es somit sehr schwer gemacht, die Verhandlungsresultate dahingehend zu beurteilen, ob das Maximum des Erreichbaren durchgesetzt wurde. Als Vermittler zwischen den Spitzenverhandlern und der Gewerkschaftsbasis fungieren hunderte bezahlte Mitarbeiter des ÖGB. Die ÖGB-Angestellten werden von den Mitgliedern nicht gewählt, sie sind nicht ihnen, sondern der Gewerkschaftsspitze verpflichtet. Aufgrund dieser Abhängigkeit ist es sehr wahrscheinlich, daß sie bei Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaftsbasis und Gewerkschaftsspitze kaum einen Konflikt mit ihrem Arbeitgeber riskieren. Diese Organisationsstruktur ist der Nährboden für bürokratische Auswüchse. Dazu kommt noch der Kult um Experten, Sachverständige und die „Verwissenschaftlichung“. Die Übertragung der Entscheidungen an Experten führt zur Ausschaltung der Gewerkschaftsbasis und zu einer Verschiebung der sozialen und politischen Entscheidungen auf eine zu unrecht als „wertfrei“ bezeichnete Ebene.

Die politische und gewerkschaftliche Demobilisierung von breiten Schichten der Arbeiter- und Angestelltenschaft wird von Teilen der Gewerkschaftsführung bedauert und als Hindernis für eine Verlebendigung des Gewerkschaftslebens angeführt. Bestritten wird, daß die Zentralisierung der Entscheidungen, die Orientierung auf eine Serviceorganisation und die politische Fraktionsbildung die Ursachen für die passive Haltung der Gewerkschaftsmitglieder sind.

Die Gründung von Parteifraktionen hat die Aushöhlung der innergewerkschaftlichen Demokratie erleichtert. In den ersten Jahren nach 1945 wurden die Forderungen in unzähligen Betriebsversammlungen diskutiert und beschlossen. Die Entscheidungen fielen damals in Betriebsversammlungen, in den Betriebsrätekonferenzen und in den zuständigen gewerkschaftlichen Gremien. Aus parteipolitischen Überlegungen wurde die eigentliche Beratung der gewerkschaftlichen Probleme und ihre Beschlußfassung von der SP in fraktionelle Gremien verlagert. Den gewerkschaftlichen Instanzen bleibt die formale Zustimmung zu den Fraktionsbeschlüssen. Die Existenz von Parteifraktionen führt dazu, daß die Wahl der Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre nicht in erster Linie von ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement abhängig gemacht wird, sondern von parteipolıtischer Zugehörigkeit.

Die überwältigende Mehrheit der ÖGB-Mitglieder lehnt diese Politik nicht grundsätzlich ab, sie empfindet sich aber auch nicht als Träger dieser Organisation, deren Politik sie kaum beeinflussen kann. Immer mehr machen ihre Mitgliedschaft davon abhängig, „wieviel Service“ man ihnen bietet. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß oft die engagiertesten Gewerkschafter zurückgepfiffen werden und ihr Auftreten in manchen Fällen sogar als gewerkschaftsfeindlich dargestellt wird.

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