FŒHN, Heft 17
 
1992

Das G’schäft der Zeitungen

Sportartikel und Leitartikel: Ein ‚Artikel‘, das sagt schon der Name, ist etwas, was man kaufen kann (Aber dazu später). Eine Zeitung ist keine Gefälligkeit, sondern eine Ware. Warum ist heute wieder der ganze Kiosk voll Zeitungen? Weil sich gestern soviel Wichtiges ereignet hat? Nein, weil der Herr Zeitungs(aktien)besitzer unser Geld will. Darum: schreiende Titel, schreiende Aufmacher und schreiende Fotos. Er zieht Gewinne aus dem Geschäft mit Nachrichten, die er teils im eigenen Haus herstellen läßt, teils — wie Darbo den ungarischen Honig — zukauft. Das mit ‚Instrument der demokratischen Meinungsbildung‘ (Kurier) und ‚objektiv und so vollständig wie nur möglich informieren‘ (Presse) usw., das im Impressum steht, steht im Impressum, weil es dort hineingeschrieben worden ist. Bei Blattlinie müßte stehen: Geld machen! Wenn wir hungrig nach Einsichten sind, und da zu einer Zeitung greifen, greifen wir haarscharf daneben. Genauso wenig wie, sagen wir, ein Cornetto-Eis dazu da ist, unseren Hunger nach Eis zu stillen, sondern ihn aufs Neue anzufachen, so erzeugt jedes Profil unaufhörlich das Verlangen auf ein nächstes Profil. Keine Ware soll sättigen, sondern gierig machen, das Bedürfnis nicht befriedigen, sondern ein endloses daraus machen.

Sind Leser wichtig?

Die Zeitungsherren können ihr Heu nur einfahren, wenn sie für das große Kapital das Scheunentor ganz aufmachen. Die in Österreich erscheinenden Tageszeitungen kamen im Jahre 1990 auf diese Weise zu offiziell 3,7 Milliarden Schilling an Werbeeinnahmen, alle Druckmedien zusammen brachten es auf 6,1 Milliarden. (Schau!) Allein die Banken sind (offiziell) mit 327 Millionen Schilling in die Zeitungen hineingefahren, mit 250 weiteren in die Zeitschriften.

Dafür, daß Leserinnen und Leser diesen Anzeigen ausgesetzt werden, gibt‘s den redaktionellen Teil, nach dem sie greifen. Der selbergemachte Teil als Lockangebot für das, um was es wirklich geht. Profil und Die ganze Woche fangen den Skandalgierigen (für Alfa Romeo bis Zanussi) ein, und Basta und Wiener geht der sexuell Gedrückte (für Atomic und Zgonc) ins Netz. Alles eine Frage der Aufteilung des Reviers. Profil verpackt sein Anzeigenpaket mit dem Heuler ‚Androsch am Ende?‘, der Wiener macht einen (affen)geilen Umschlag (‘Telefon-Sex‘ oder ‚Sex Terror‘ oder ‚Immer mehr Sex im TV‘) drum herum. Damit die überall zuhauf produzierten, überall zuhauf überproduzierten Waren (ständig um vierzig Prozent zuviele Zahnbürsten und Zahnpasten) wenigstens teilweise in Geld umgesetzt werden können, muß zuerst die Werbung wirksam werden können. Das heißt erstens, die Zeitung muß massenhaft unter‘s Volk, und zweitens, die Leserin, der Leser muß fürsorglich mit vielen kleinen eingebauten Geschichten von Anzeige zu Anzeige zu Anzeige geführt werden.

Genauso hat das Unterhaltungsradio sein Millionenpublikum mit Schlagzeilen, Tratsch und Tralala von Werbeblock zu Werbeblock zu geleiten, auf daß keine/r ihm entfliehe. Profil, das sich phasenweise wie ein Quellekatalog (‘Ein Mazda müßte man sein!‘ / ‚Tigern Sie zu Hartlauer!‘ / ‚CA — Die Bank zum Erfolg‘) ausnimmt, macht offiziell einmal ‚rund zwei Drittel der Einnahmen‘ (Profil, 27.8.90) mit Inseraten, ein andermal kommen ‚weit mehr als die Hälfte unserer Einnahmen ... aus dem Anzeigenumsatz‘ (Profil, 6.5.91). Als am 30. September 1991 das Magazin wegen Streiks nicht erschien, mußte laut ORF die Zeitschrift einen ‚Ausfall von 4,5 Millionen Werbe-Einnahmen und 1 Million Verkaufserlös hinnehmen‘ (Journal um 5, 30.9.91). Nicht nur, daß der Verlust für die Zeitungsleser wesentlich geringer war als für die Zeitungsbesitzer, ergab er sich für diese damit zu 82 Prozent aus dem Entfall der Anzeigen und nur zu 18 Prozent aus dem Entfall des Verkaufs. Merken! Wenn man rechnet, daß Profil bis zu sechzig Anzeigenseiten pro Ausgabe hat, damit auf gegen 2.000 Anzeigenseiten im Jahr kommt, weiß man wieviel Profilheftln reinster Werbung jemand während eines Jahres zum Kiosk holen geht: Ca. 20. (‘‘profil‘ und ‚trend‘ müssen unabhängig bleiben!‘ forderten dann während des Streiks grüne und linke Promis in Solidaritäts-Anzeigen. ‚Bleiben‘ hat mir gut gefallen, war sehr witzig.) Wenn — im Sommer beispielsweise — die Zahl der Anzeigen zurückgeht, ist auch die Zeitung nicht mehr so wichtig. Der Kurier etwa baut von 100 und mehr Seiten am Samstag auf 60 inkl. Anzeigen (17.8.91) ab, die Salzburger Nachrichten schrumpfen samt Werbeseiten auf 54 (17.8.91) und der Standard sackt auf 32 Seiten Umfang am Samstag (17.8.91) herunter. ‚In eigener Sache: Mit dieser Ausgabe der Tiroler Bauernzeitung beginnt eine Folge von mehreren Nummern mit geringerem Umfang als gewohnt. Damit wird wie schon im letzten Sommer sowohl der politischen Sommerpause als auch dem verminderten Inseratenaufkommen Rechnung getragen. Wir hoffen dennoch, daß die wichtigsten Informationen für Sie, lieber Leser, enthalten sind. Die Redaktion‘ (Tiroler Bauernzeitung, 11.7.91)

Der Leser bringt (siehe oben) finanziell wenig. Und wenn‘s wenig Werbung gibt, braucht man ihm dafür auch nur wenig Lesefutter einstreuen.

Der Standard, den jeder Trafikant um 10 S abgibt, kostet, hört man, in der Herstellung zwanzig Schilling. Wenn der Kaufpreis niedriger ist, ist der Verkauf höher. Das heißt, das bringt mehr und teurer verkaufte Werbeseiten. Und die vielen Werbeeinnahmen ermöglichen erst recht einen niedrigen Zeitungspreis und das führt umso mehr zu einer hohen Auflage, die mehr und teurer verkaufte Werbeseiten bringt. Erreicht wird, daß jeder, der anfällig ist für schnallige Aufmacher, sich dem auf ihn wartenden Werbe-Terror aussetzt.

Zeitschriften wie Wiener und Basta werden fast ausschließlich über Reklameseiten finanziert, die Leser sind nicht der Einnahmen wegen wichtig, sondern als Zahl, die die Anzeigen konsumiert. Daher schneit‘s Extra-Beigaben zu den Heften (z.B. Gutscheine) und Geschenke für jeden, der sich ein Abonnement lang an diese Kataloge bindet. Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, diese Druckwerke würden also hauptsächlich von Gloria Kräutershampoo und Billa heute bezahlt, ist der falsche entstanden. Natürlich bezahlen wir die Werbung für die Waren, die wir ohne Werbung gar nicht gekauft hätten.

Es lebe die Pressefeilheit!

Aber die unabhängigen Zeitungen, alle Zeitungen in Österreich also, sind ja — wie ihr Name sagt — unabhängig.
Das schaut dann so aus:
hinten durch die Bank massig Kredit-Lockungen, vorne alle halben Jahre ein redaktionelles Rotzen über die Verschuldung von immer mehr Haushalten
vorne sittliche Entrüstung, hinten Pornokino-Anzeigen usw.
vorn herum kritisch angehauchte Artikel über Autoverkehr, hinten seitenweise Autowerbung
vorn herum Gemäkel an Parteien, hinten herum ganze Serien von Parteien-Werbung
vorne der Treffpunkt der Anonymen Alkoholiker, hinten Alkohol-Anzeige an Alkohol-Anzeige
vorne hin und wieder ein paar gequälte Sätze zur Wohnungsnot, hinten das große Geschäft mit ihr
vorne ein wenig Geploder über Ausverkauf von Grund und Häusern, hinten großklotzig ganzseitige Einschaltungen ausländischer Betriebe
hinten Pelz, HiFi und Kaviar, vorne ein bißchen Geheuchel über die Not von Kalkutta oder die in der Obersteiermark oder in Hochfilzen
usw.

Jeder Alkoholtote, jeder Unfall eines Besoffenen, der vorn in der Zeitung steht, ist ein Beweis für den Erfolg der Alkoholwerbung, die hinten steht.
‘Es gibt ja keine Zeitung ohne Werbung, schon gar ka unabhängige Zeitung!‘, ist Armin Thurnher draufgekommen, Redakteur und Herausgeber und Verleger des Falter (Oktober 1984, Uni Wien).

Foto: Swarovski Information

Wir reden hier nicht von Bestechung, oder nur von der ganz legalen. Von der, die man nicht so nennt.
Es gibt so gut wie keine öffentliche Kritik daran, wie ausländische Handelskonzerne ihre Warenhäuser auf die grüne Wiese an den Stadträndern klotzen: Adler, C&A, Cosmos usw. Man versteht mehr davon, wenn man die zwei Seiten Media-Markt-Werbung (BRD) und die eineinhalb Seiten Kleiderbauer-Reklame (BRD) und die eineinhalb Seiten C&A-Einschaltung (BRD) in einer Ausgabe der Salzburger Nachrichten sieht (2.11.90). Darüber, wie die flotten Sweatshirts von Adler und die lustig bedruckten Slips von C&A in fernöstlichen Sklavenfabriken hergestellt werden, erfahren wir aus der Tiroler Tageszeitung nichts. Aber, daß ‚Adler — Mode für Schlaue‘ in Ansfelden und Klagenfurt und Salzburg und Innsbruck und Villach und Vösendorf und Wien und Wiener Neustadt ‚6 Stück Hemden um 498.-‘ herzugeben hat, dafür ist eine Zeitungs-Seite Platz. Der deutsche Media-Markt hat in den ersten 12 Monaten nach der Eröffnung seiner Kaufhalle in Innsbruck (unvollständig) gezählte 74 Seiten Tiroler Tageszeitung gekauft. Errechneter Kaufpreis: 9,75 Millionen Schilling! Da ist es nicht mehr drinnen, über die Sache mit dem Grundverkehr, über öffentliche Hilfestellungen, die Firmenkonstruktion, die Billigstproduktion in Hungerländern, die Handelsmethoden der Firma, die erfolgende Ausrottung der heimischen Elektrohändler u.a.m. zu berichten. Nein, da muß auch noch im redaktionellen Teil (Muß? — Aufgrund welcher Abmachungen denn?) und in nichts von diesem unterschieden mit Bild und Text (‘... MediaMarkt Innsbruck präsentiert auf 2300 Quadratmetern ein Riesenangebot von über 40.000 Artikeln aus ...‘) von der Eröffnung berichtet werden (TT, 2.6.90). Ein andermal (27.5.91) kommt, wieder als Bericht getarnt, ein Foto vom Media-Markt mit einer Plattensängerin davor (‘Im Rahmen ihrer Promotionstour durch Österreich besuchte ‚Simone‘ auch das MediaMarkt-Tonträgerteam in Innsbruck ...‘). Zumindest müßte nach österreichischem Mediengesetz eine Werbeeinschaltung bei Strafe als solche gekennzeichnet werden. Müßte, müßte, müßte! Das Müßte-Spiel ist ein müßiges Spiel. Wenn wir anfangen damit, was alles müßte da, wo das Geld regiert, können wir gleich aufhören. Schau dir das an, dann weißt du, wer deine Zeitung schon gekauft hat, vor du sie gekauft hast.

In der Wochenpresse/Wirtschaftswoche steht, ‚Neckermann — für die kostbarsten Wochen des Jahres‘ und ‚Nissan — Sie kommen besser an‘ und ‚Liebe geht durch den Meinl‘. Der Zeitungsbesitzer lebt vom Umsatz der Waren, die in seiner Zeitung angeboten werden. Also wird er gegen Lohnkämpfe in den Betrieben, die sie herstellen, sein, gegen Streiks in diesen Betrieben, gegen teure Umweltmaßnahmen, gegen Steueranhebung, gegen das und gegen jenes sein. Wie wird er die Umweltberichterstattung machen lassen? Wie wird er die Artikel über die soziale Lage bestellen? Richtig geraten. Du bist in der nächsten Runde. Der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, der drittgrößten österreichischen Tageszeitung, Kurt Vorhofer hat einmal freimütig gestanden: ‚Großinserenten üben massiven Druck aus, oft mit Erfolg. So werden gewisse Fragen gar nicht mehr richtig erörtert, denn das Thema ist gleichsam tabuisiert.‘ (Kleine Zeitung, 14.3.91)
Der Standard sieht: Im Jahr 1990 haben wir vom Raiffeisenkonzern soviel bekommen, im Jahr 1991 soviel. Das heißt für uns: Im Jahr 1992 werden wir ca. soviel bekommen. Das heißt, die Brüder werden wir uns warmhalten. Seit die Austrian Industries die irren Summen für ganze Endlosserien von zwei- und mehrseitigen Inseraten an so gut wie alle großen Blätter überwiesen haben, ist dort Ruhe.
Die Biochemie in Kundl, zum Schweizer Sandoz-Konzern gehörig, weiß schon, warum sie alljährlich eine ganze TT-Beilage kauft. Auch die Montanwerke in Brixlegg, ein Betrieb der deutschen Metallgesellschaft AG, weiß, was sie der Berichterstattung in der Tiroler Tageszeitung schuldet: eine Beilagenzeitung pro Jahr. Denn die Hand, die einen füttert, beißt man nicht.
Mit der Meinungsfreiheit bei uns, das ist so: Da gibt es eine einzige Rundfunkfirma im Land, und wer Geld genug hat, kann sich dort Minuten und Stunden herauskaufen! Wieviele Stunden wurde über Frolic, Chappy, Pal und Cäsar berichtet! Aber ein einziger Satz darüber, daß die vielen Hunderln hier vielen Menschen anderswo ihr Essen wegfressen, ist sich noch nicht ausgegangen.

Wenn wir davon zu reden anfangen, daß die TT ein paar Tage, nachdem sie sich über eine Sonderbeilage der Firma Schablonentechnik Kufstein freuen durfte (29.6.91), einen netten Bericht mit dem Titel ‚Schablonentechnik weiter auf Erfolgskurs‘ (übrigens vom selben Redakteur W. Schrott verfaßt wie die Werbezeitung) gebracht hat (TT, 3.7.91), wird man sagen: ein Einzelfall. Wenn wir mit dem freundlichen redaktionellen Artikel (‘Großen Anklang fand das neueröffnete Küchenstudio von Föger-Wohnen in Telfs ...‘) über das Möbelhaus Föger 16.3.92), das fleißig in der TT inseriert, nachstoßen, wird man sagen: wieder ein Einzelfall. Wenn wir dann den Bildbericht ‚Premiere feierte die neue Mercedes-S-Klasse ...‘ in der TT (4.5.91) erwähnen, wird man sagen: noch ein Einzelfall. Oder man wird sagen: Der Kurier (4.5.91) hat mit zwei Fotos und mehr Text vom neuen Mercedes berichtet (Titel: ‚So hell strahlten die Sterne noch nie zuvor‘). Also lassen wir‘s.

Wenn wir diese Artikel gar nicht mitzählen, bringt‘s die Tiroler Tageszeitung zum Beispiel bei 62 Seiten auf 33,3 volle Anzeigenseiten (22.6.91), das sind 53,7 Prozent. Oder bei 72 Seiten auf 39,5 Anzeigenseiten (29.6.91), das sind 54,8%. (Die Fotos von Sportlern, die nur deshalb so oft und so groß in die Zeitung kommen, weil sie den Schriftzug der Sparkasse oder von Raiffeisen auf ihrem Leiberl tragen, sind hier nicht mitgezählt.)

Schon vor zehn Jahren hatte die Tiroler Tageszeitung über 50 Angestellte allein fürs Anzeigengeschäft nötig. Wenn die Fachzeitung Extradienst (6/89) über die Anzeigenabteilung der TT sagt, ‚da herrscht klarer Insertionsterror‘, lese ich da die Drohung heraus: Wenn ihr nicht in dieser Zeitung inseriert, werdet ihr schon sehen, was wir über euch schreiben. Umgekehrt läßt sich das für die vielen fleißig in der TT werbenden Firmen so verstehen: Alles in Butter!
Die Kosten für eine Seite Werbung liegen weit über den Kosten, die die Zeitung für eine Seite Satz und Layout und Druck und Papier und Vertrieb hat. Das heißt, es muß mit dem Seitenpreis redaktioneller Flankenschutz mitbezahlt sein.

Was uns die Werbung sagt

Der Außenminister auf einer Flugzeugstiege, der Zentralsekretär bei einer Pressekonferenz — ist bei der Zeitung vorn der politischere Teil oder hinten? Hinten ist die Werbung: hinten ist der politischere Teil, wenn man unter Politik das versteht, wo massiv auf unser Leben Einfluß genommen wird. Die großen Medien im Kapitalismus produzieren nicht nur Werbung für die Waren, sondern gleich auch Konsumenten für die Waren. Leser, die Konsumenten sind, tragen der Zeitung mehr als doppelt soviel ein wie Leser, die nur Leser wären (siehe oben!).

Die großen Medien deuten den Menschen nie auch nur den Verdacht eines Auswegs aus den herrschenden Zuständen an. Das Gefühl des Betrogenwerdens, der Ohnmächtigkeit, des Ausgeliefertseins, das in den politischen Redaktionen Tag für Tag erzeugt wird, ist die denkbar beste Unterlage für die Werbe-Industrie. Die Zeitung, die vorn keine Befriedigung in Aussicht stellt, kann hinten mit den süßesten Glücksversprechen zuschlagen: Gleiches Recht für alle, schlag dir das aus dem Kopf, das wirst du nicht finden, nimm dir eines der neuen flotten Sofas von kika!
Wenn dieser Schmäh gelingt, ist dafür gesorgt, daß die politischen Verhältnisse für uns immer unbefriedigend bleiben, und wir den Fingerhut voll Lebensglück, den jeder Mensch braucht, weiterhin ins Kaufhaus suchen gehen. Auf diese Weise betonieren wir die Zustände ein, wie sie sind. Es gibt ja so viele schöne Dinge, die das Leben für dich bereit hält: eine Zusatzpension mit hoher Rendite, den big foot von Kneissl usw. Wer auf diese Denkbahn gebracht worden ist, wird diesem System, in dem immer die Wenigen das große Geld und immer die Vielen die Arbeit haben, kaum mehr zu Leibe rücken wollen.

Der Kapitalismus deformiert uns alle und macht uns damit ausplünderbar nach Strich und Faden. Bevor unsere Unzufriedenheit einmal politisch wirksam werden kann, wird sie hundertmal mit irgendwelchem Nippes abgefangen. Die Lebenshilfe, die uns gereicht wird, ist eine, die man sich unter die Achseln sprayen kann.

Über unser Leben unter dem Kapitalismus, die Wunden, die er uns schlägt, steht viel in Heft 15. Die tausend Ängste, die er in uns erzeugt und ständig schürt, von der Angst um den Arbeitsplatz und der um den Wohnungsplatz über die um die Zukunft und die vor der Zukunft bis zu der dauernden Angst, Normen nicht zu entsprechen und Anforderungen nicht gewachsen zu sein, diese Ängste bilden das große Einfallstor der Warenindustrie. Werbung baut auf unsere Ängste. Nicht, um sie aus der Welt zu schaffen, sondern um Waren abzusetzen, die uns etwas vormachen. Der Kapitalismus macht Krüppel aus uns, und er braucht uns als Krüppel, um daraus Kapital schlagen zu können. Der Kauf der Kinokarte und der Kauf der Bacardi-Flasche nimmt nichts weg von unserer Unfreiheit, auf daß sich auch die Reifenindustrie und die Suppenindustrie und die Computerindustrie ihrer bedienen kann.

Konsumprediger

Zeitschriften wie Basta, Wiener, Wienerin werden von Wirtschaftern auf dem Reißbrett entworfen. Die Vorgabe ist ein großer Warenkorb: Mode, HiFi, Scheckkarten, Schmuck, Reisen, Schlemmereien, Zigaretten, Riechmittel, Uhren, Computer, Möbel, Überseeflüge, Autos, Getränke, Videos, Pasteten, Corsets und vieles andere mehr. Basta & Co. haben auf die Jagd zu gehen auf Käufer von größtenteils überflüssigem und häufig schädlichem Industriedreck. Gefragt ist ein Prospekt mit Geschichtchen auf den leeren Flächen. Die Weiterentwicklung des Moden-Müller-Katalogs. Die Zwischenräume werden mit sogenannten Storys aufgefüllt, die die Leserin und dem Leser den Produkten entsprechend zuschnitzen. Die eingestreuten Blutstorys, die Gewaltgeschichten, die Vagina-Reportagen sollen schocken! Sie sollen die Leser aus dem Gleichgewicht kippen, damit sie diese Verstörung mit einem der beworbenen Luxusartikel auffangen wollen wollen. Auch die mit Dutzenden Fotos inszenierten Neonazig‘schichten und die hineingespickten grausigen Haider-Sager fügen sich in diese Strategie ein. Das ist bewußt kalkuliertes Programm.

Die wissenschaftlich erhobene kaufkräftige Leserschaft stellt eine eindeutige inhaltliche Festlegung für diese und andere Medien dar. Um für die Firmen, die hier inserieren, attraktiv zu bleiben, muß thematisch den kauffähigeren (lesenden) Schichten entsprochen werden. Das heißt, keine Hinwendung in Richtung Lehrlinge, Hausfrauen, Arbeiter usw. Die Streuverluste für die inserierende Wirtschaft würden zu groß, die Werbetarife müßten gesenkt werden, die Zeitung würde nicht mehr soviel Geld machen.

Medien stehen auf der anderen Seite. Sie gehen sich nur zu uns das Geld holen.
Dabei schmeicheln sie uns mitunter ein bißchen.

Daß soviel geworben werden muß, zeigt doch, daß wir die Dinge nicht eigentlich brauchen. Als in New York einmal die Druckereiarbeiter 80 Tage lang streikten, erzählt der Schriftsteller E.A. Rauter, erschienen in der Stadt fast keine Zeitungen und damit Inserate. Die Folge war, daß die Geschäftsleute einen Umsatzrückgang von zig Milliarden Schilling hatten. Die Menschen hatten die Waren, die sie eigentlich nicht brauchen, nicht gekauft. Der größte Teil der Wirtschaft dient nicht der Abhilfe von Hunger und Not unten, sondern der Ansammlung von Villen, Yachten, Zinshäusern oben.

Wofür wir gut sind

Im Kapitalismus produziert (fast) jedes Unternehmen drauf los. General Motors hat derzeit Millionen Autos auf Halde. Diese Überproduktion stürzt unser Wirtschaftssystem mit einer Regelmäßigkeit, die der in den Naturgesetzen nahe kommt, in Krisen. Da ist die Werbeindustrie so wichtig wie nie zuvor. Sie hat das dauernde gigantische Überangebot an Hosen und Katzenfutter an den Käufer zu bringen. Wenn zuviel Gemüse-Eisklötzchen produziert werden, müssen wir dazu gebracht werden, mehr Gemüse-Eisklötzchen zu fressen. Es ist so, als ob wir, in einen riesengroßen Behälter mit Haferschleim steckend, der dauernd droht, über unserem Kopf zusammenzuschlagen, um uns zu retten, dazu verdammt wären, immerzu diesen Dreck zu fressen. Das ist das, was sich hinter den kunstvoll aufgefädelten Buchstaben M-a-r-k-t-w-i-r-t-s-c-h-a-f-t steckt.

Bestes Einvernehmen auf beiden Seiten: Lugners Anzeige (rechts) und Kuriers Dank dafür (links)

Wenn nicht Fernsehabend für Fernsehabend 38 Mal die Aufforderung ‚Kauft!‘ an uns erginge, würden wir nicht funktionieren, und es würde diese wahnwitzige Ordnung zusammenkrachen. Das System kann sich nur halten, wenn es sich weiter in seine Probleme verstrickt. Hier müssen die Medien her!

Die Zeitung flattert frühmorgens als Keiler ins Haus: ‚Jetzt billiger!‘, ‚Ausverkauf!‘, ‚Sichern Sie sich ...!‘, ‚Auf zum Endspurt bei ...!‘, ‚Sie sparen ...!‘, ‚Fragen Sie nach den höchsten Zinsen!‘, ‚Profitieren Sie vom ...!‘, ‚Buchen Sie jetzt ...!‘ (TT, 17.1.92). Wenn ein Zeitungsleser das nicht mehr wahrnimmt, heißt das ja gerade nicht, daß er dem widersteht. Die Zeitungen sind Befehlsmelder aus den Zentralen hinauf auf den letzten Hof: Kauf! Iß! Fahr! Nimm!

Wir werden auf Konsumenten gequält. Wir werden dauernd am Bauch oder am Genital gekitzelt. Was hier mit uns aufgeführt wird — von der ‚Motivforschung‘ über die unterbewußte Werbung bis zum regelrechten Kaufterror -, würde noch besser in eine offen faschistische Diktatur passen.
Der Druck, zu konsumieren, der nie nachläßt, vom Ö3-Wecker bis zum späten Fernsehabend, soll uns auch dazu drängen, mehr (für andere) zu arbeiten, um uns mehr Dinge leisten zu können.

Die Werbung, der wir auf der Straße nicht und nicht in den eigenen vier Wänden auskommen (‘Ich mach‘ mir solche Sorgen um den Sgonz!‘, ‚Wenn i nur aufhör‘n könnt, aufhör‘n könnt, aufhör‘n könnt!‘), zeigt uns, wie sie uns haben wollen: saudumm! Befehlen folgend (‘Holen Sie ...!‘, ‚Nützen Sie ...!‘, ‚Verlangen Sie ...!‘ — TT, 29.6.91) — was sich politisch nutzen läßt: ‚Wählen Sie ...!‘, ‚Vertrauen Sie ...!, ‚Stimmen Sie ...!‘ Werbung reduziert uns aufs Vieh. Was auch politisch Sinn gibt: Wir sind als Stimm-Vieh weiterverwendbar.

Demokratie bräuchte aktive, entscheidungsfähige, selbständige Menschen. Die Industrie braucht passive, willige, gleichförmige Masse. Werbung in den Medien stellt sie her.

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