Amelie Lanier, 2. Andere
Juni
2019

Das Amselfeld

Die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 gilt als eine Art Wendepunkt der europäischen Geschichte.

In der serbischen Geschichtsschreibung bedeutet sie den Untergang des mittelalterlichen serbischen Staates, eine Art Super-Gau für den Balkan und eine Zäsur der europäischen Entwicklung.
Es wird behauptet, die europäischen Mächte hätten da die Serben und überhaupt den Balkan im Stich gelassen bei der Verteidigung des Christentums gegen den Islam.

Es handelt sich hierbei jedenfalls um eine irreführende Sichtweise der damaligen europäischen Politik. Die europäischen Staaten waren nämlich keineswegs geeint, geschweige denn waren sie Verteidiger des Christentums. Venedig und Frankreich arbeiteten damals und auch später mit dem Osmanischen Reich zusammen.
Außerdem fiel den serbisch-bosnischen Heeren damals, 1389 auch auf den Kopf, daß sie jahrzehnte-, sogar jahrhundertelang Krieg gegen Byzanz geführt hatten, um sich als unabhängige Königreiche zu etablieren. Manchmal wurde dafür auch der römische Papst als Verbündeter eingesetzt – der gerne seinen Einfluß auf dem Balkan erweiterte, im Kampf gegen die Ost-Kirche.

Das Schisma ging immerhin quer durch den Balkan und beeinflußte die Außern- und Innenpolitik der dortigen Kleinstaaten bzw. Kleinreiche.

Aber sei es wie es war – das auf der mündlichen Überlieferung beruhende, aus verschiedenen Heldenliedern bestehemde Mythos vom Amselfeld begleitete im 19. Jahrhundert der serbischen Staatsgründung und deren Expansionswillen.

Diese offizielle Ideologie hatte von Anfang an den Widerspruch, daß sich hier eine Staatsmacht mit einer großen Niederlage schmückte.

Uroš Predić, Das Mädchen vom Amselfeld (1919)

Die Idee, für diese Schlacht eine Gedenkstätte zu errichten, entstand bereits in einer Zeit, als das Amselfeld noch zum Osmanischen Reich gehörte. Es war offenbar ausgemachte Sache, daß das Kosovo Polje über früher oder später an Serbien fallen würde.

Geplantes Denkmal

Der große Bildhauer und Anhänger des jugoslawischen Gedankens Ivan Meštrović plante bereits Anfang des 20. Jahrhunderts seinen „Tempel des Veitstages“. Er war als eine Art Pantheon gedacht, in dem die verschiedenen sagenumwobenen Helden der Schlacht dargestellt werden sollten. 1911 stellte er ein Modell davon in Italien vor. Angeblich bei einer Weltausstellung in Rom. Die Weltausstellung 1911 fand aber in Turin statt.

Das Modell des Tempels im Museum in Kruševac

Verwirrend wie die erste Vorstellung des Projekts war auch der weitere Verlauf. Das Amselfeld wurde 1912 Serbien als Ergebnis des 2. Balkankrieges zugesprochen. Bei der Umsetzung des Meštrović-Projektes herrschte offenbar keine große Eile. Dann kam der I. Weltkrieg dazwischen. Da wurde das Modell des Tempels und einige Statuen in London ausgestellt und damit Werbung für den zu schaffenden südslawischen Staat gemacht.

Als der dann zustande kam, hatten es die Politiker Jugoslawiens weiterhin nicht eilig, das Projekt umzusetzen. Das Modell landete in Kruševac, einige der Staatuen in Belgrad und anderswo.

Auf das Amselfeld kamen sie nie.

Es mag sein, daß die Errichtung eines solchen Monumentalbaus – 250 x 100 Meter im Grundriß – in einer Problemgegend den Führern des neuen Staats nicht sehr opportun erschien. Es hätte als Provokation betrachtet werden können. Womöglich hätte man es streng bewachen müssen.
Aber überhaupt hatte dieses großangelegte Monument Meštrovićs eben auch den Widerspruch, daß da mit einem Prachtbau einer Niederlage gedacht werden sollte.

Angeblich hängt auch die Desillusionierung Meštrovićs mit dem II. Jugoslawien und sein Exil mit der Absage zusammen, die seinem Projekt durch die neuen Führer zuteil wurde. Um so mehr, als schließlich doch ein Denkmal errichtet wurde, aber eben nicht seines.

Vorhandene Denkmäler

Auf dem Amselfeld wird heute mit 3 Bauwerken bzw. Gedenkstätten der Schlacht gedacht.

Das größte, best betreute und leichtest zu findende ist das Grab des Sultans Murad.

Links die Türbe, in der Mitte hinten das Wächterhaus, rechts das seinerzeitige Gästehaus, heute eine Art Museum der Geschichte der Türbe

Der Sultan wurde laut Überlieferung durch Hinterlist vom serbischen Vojewoden Miloš Obilić erdolcht. Obilić gab vor, verhandeln zu wollen, verschaffte sich Zutritt zum Führungszelt, zog den Dolch aus dem Gewande und erstach den Sultan. Da er danach natürlich ebenfalls umgebracht wurde, gilt er als Märtyrer der guten Sache Serbiens.

Die Tat Obilićs hat die serbische Politkultur beeinflußt. Man macht gern kurzen Prozeß und räumt Gegner weg. (Alexandar Obrenović, Stjepan Radić, Ivan Stambolić, Zoran Djindjić ...)
Dabei zeigte sich bereits damals, daß diese Art der Problemlösung nicht sehr effizient ist. Man könnte sie sogar als kontraproduktiv bezeichnen.

Diese Säulen im Garten der Türbe sind wohl etwas sehr Wichtiges, aber was?

Murads Sohn Bajezid übernahm das Kommando, ließ seinen ebenfalls anwesenden Bruder umbringen und gewann die Schlacht. Er wollte sich gleich mit einem Erfolg auf der politischen Bühne vorstellen und legte sich daher besonders in Zeug.

Wie das bei osmanischen Führern, die im Ausland starben, üblich war, wurde die Leiche sozusagen ausgeweidet, der leere Körper in die damalige Hauptstadt Bursa (Byzanz war noch nicht gefallen) befördert und die Eingeweide in einer Türbe auf dem Amselfeld bestattet.

Das Haus der Türbenwärter (ein angenehmer Beruf!)

Dieses Grabmal wurde in der Spätzeit des Osmanischen Reiches von den Sultanen Abdulhamid II. und seinem Nachfolger Mehmed aus dem Dornröschenschlaf auferweckt, renoviert und zu einem Wallfahrtsort der Art: „Wir waren doch einmal wer!“ gemacht.

Aus relativ ähnlichen Gründen investiert die heutige Türkei in die Aufrechterhaltung dieser Gedenkstätte, die auch zum fixen Bestandteil türkischer Reiseunternehmen für Balkanrundreisen gehört.

Kosovo wird von der türkischen Regierung ebenso wie Bosnien so als eine Art türkisches Überseeterritorium betrachtet, in diese Auffassung paßt dieses Grabmal vortrefflich hinein.

Immerhin, die Türken feiern ja hier einen Sieg.

Das heutige Museum
Das Museum, vielleicht daneben ebenfalls wieder ein Gästehaus

Übrigens, wen man das von ihm selber gestaltete Mausoleum Meštrovićs betrachtet, so erinnert das ein wenig an die Türbe ... Eine Art Rache vielleicht, weil aus seinem Tempel nichts geworden ist?

Die serbische Gedenkstätte befindet sich in ungefähr einem Kilometer Entfernung und heißt Gazimestan.

Schon das Wort ist seltsam. Ghazi heißt Held, Kämpfer auf türkisch, mesto heißt Ort auf serbisch, und die ganze Zusammensetzung ist also weder-noch, auch grammatikalisch kommt man auf keinen grünen Zweig. Ort der Helden? Bestattungsstelle der Helden? Heldenplatz? Warum nicht ganz serbisch?

Allein auf weiter Flur ...

Es besteht vor allem aus einem 1953 errichteten Turm, der mich an den Turm im Pećer Patriarchenkloster erinnert. Abgesehen davon, daß dieser Turm mitten im Nichts etwas mickrig wirkt – vor allem, wenn man an die monumentale Anlage Meštrovićs denkt – so ist auch unklar, warum der Schlacht ausgerechnet mit einem Bauwerk gedacht wird, das gar nichts damit zu tun hat. Dergleichen Türme gehören in Burgen oder Klöster, auf freiem Feld wirkt so ein Ding deplaziert.

Dann ist dieses Bauwerk von großen abgeschnittenen Rohren umgeben.

Was sich der Schöpfer und die Auftraggeber dieses Kunstwerks wohl dabei gedacht haben?

Mittelalter und Moderne, Tradition und Stadtplanung? Die Rohre wirken, als wären sie bei der Kanalisation Prishtinas übriggeblieben und dann auf diese Art und Weise noch verwertet worden.

Zusätzlich zu diesem Ensemble steht in unmittelbarer Nähe eine große weiße Säule, die recht neu und ausgesprochen textlastig wirkt. Vorne steht ein Text mit modernen serbischen Buchstaben, hinten einer mit altertümlichen. Er weist leichte Beschädigungen auf.

Mir ist nicht gelungen, herauszufinden, wie er mit dem anderen Denkmal zusammenhängt, wann er hingestellt wurde und um was es dabei geht.

Mir erscheint es als Geschenk oder Stiftung irgendeines Geschäftsmannes, der sich bei Politikern oder Klerikern damit beliebt machen wollte.

Dieses ganze Gelände ist schwierig zu finden, eingezäunt, auf einer renovierungsbedürftigen Straße erreichbar und wird von 2 freundlichen albanischen Polizisten und einem Hund bewacht, die in einem Container ihre Schicht absitzen.
Sie haben sich sehr gewundert, als ich kam, ganz allein, weil dorthin kommen Leute entweder gar nicht, oder in Busladungen.

Bei diesem Monument hielt Slobodan Milošević 1989 seine berüchtigte Gazimestan-Rede, mit der er den Untergang Jugoslawiens eingeleitet hat. Auf den Fotos zu dieser Rede sind aber der Turm oder die Rohre kaum zu sehen. Es wurde damals eine Bühne aufgebaut, die das Monument verdeckte bzw. in den Hintergrund rückte, weil Slobo offenbar auch unzufrieden war mit dieser Kulisse. Er wollte zwar den Ort und den Mythos nutzen, aber ohne das eher mickrige Denkmal dabei zu haben.

Wo 1989 Häuser – oder sind es Zelte? – standen, rechts hinten, ist heute nur mehr Wald

Auch der Ort stimmt nicht: Das Monument wurde auf einem Hügel errichtet, der besseren Sichtbarkeit wegen, die Schlacht fand weiter nördlich in der Ebene statt.

Hin und wieder feiern serbische Patrioten dort den Veitstag, aber auch bei diesen Anlässen wird der Turm sozusagen bekleidet, als eine Art praktische Kritik an dem Denkmal.

Es gibt aber noch ein drittes Bauwerk, das mit der Schlacht zu tun hat, und dieses gibt einige Rätsel auf. Es löst aber auch einige.

Es heißt einerseits das Grabmal Gazi (= des Helden) Mestan. Von ihm hat auch das serbische Turm-Ensemble seinen Namen. Mestan war offenbar ein Vornahme. Dieses Denkmal hier heißt aber andererseits die „Türbe der Bajraktars“ (türkisch für Fahnenträger).

Man halte sich also vor Augen: die Bezeichnung der serbischen Amselfeld-Gedenkstätte ist rein türkischen Ursprungs.

Der erwähnte Mestan soll zusammen mit einem zweiten hier Bestatteten ein Fahnenträger bei einer Schlacht gewesen sein, aber man weiß gar nicht, bei welcher, weil auf dem Amselfeld fanden mehrere Schlachten statt. Es liegt günstig für diese Art von Events, als von Gebirgen umgebene Ebene, eine Art Vorzimmer zum Betreten des nördlichen Balkans.

Der ominöse Turm – in Grußweite

Ebenso wenig ist bekannt, wann es erbaut wurde. Da die beiden Anhänger eines Sufi-Ordens waren, war dieser Ort in osmanischer Zeit ein Derwisch-Wallfahrtsort.

Laut Internet wurde die Türbe seit 1999 öfter beschädigt und zuletzt mit Geld aus der Türkei instand gesetzt.

Angesichts dessen ist es verwunderlich, daß es überhaupt nicht bewacht oder sonst irgendwie geschützt ist. Es war kein Mensch dort, weder Aufsicht, noch Fremdenführer, noch Besucher.

Wer weiß, ob es überhaupt besucht wird. Möglicherweise wir es nur für irgendwelche Zeremonien genutzt, im Zusammenhang mit dem gegenüber liegenden Friedhof.

Ja ja, die Denkmäler und die nationalen Mythen.

Mit dem, was heute im Kosovo läuft, hat das alles wenig zu tun.

Siehe auch: ANLÄSSE WERDEN GESCHAFFEN, WENN KRIEG ANSTEHT – Sarajevo 1914

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