MOZ, Nummer 57
November
1990

Bücher

Michael John/Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien einst und jetzt

Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten, Böhlau, Wien 1990

Die Herausgeber/Autoren gehen es ganz, ganz sachte an: Der erste Abschnitt dieses unglaublich umfassenden Buches zählt zuerst einmal die in Wien seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts vertretenen Minderheiten auf: die Tschechen und Slowaken, die Juden, Ungarn, Italiener, Sinti und Roma, Chinesen, Kroaten, Slowenen, die bulgarischen Gärtner, die Schweizer Uhrmacherkolonien, die Bosnier, Gotscheer, US-Amerikaner, Ukrainer, die deutschsprachigen Minderheiten aus Jugoslawien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn, die Filipinos, die türkischen, armenischen, griechischen und aromunischen Kaufleute, die ausländischen Arbeitskräfte und Kriegsgefangenen der NS-Zeit, die Zeitungskolporteure aus Ägypten, Indien, Pakistan und der Türkei und die ‚Gast‘-Arbeiter aus der Türkei und Jugoslawien. Diesem Teil haftet, nicht zuletzt durch manche Illustrationen aus dem neunzehnten Jahrhundert, beinahe etwas Idyllisches an, wenn auch die Texte und die kritischen Quellen, aus denen sie stammen keine Illusionen über das meist harte Leben der Eingewanderten zulassen.

Die Analyse der Beweggründe der Zuwanderer (Push-Faktoren: Gründe, warum sie nicht zuhause leben konnten; Pull-Faktoren: Tatsachen oder Vorstellungen, die Wien für sie verlockend machten) lassen ihre bittere Not oder die politischen oder rassischen Verfolgungen, denen sie in ihrem Herkunftsland ausgesetzt waren, deutlich werden.

Die Ansiedlungs- und Wohnformen, zu denen sich die Zuwanderer meist gezwungen sahen, zeigen schon recht deutlich, wie wenig herzlich ihre Aufnahme in Wien war. Die Elendsquartiere, die den heutigen ‚Gast‘-Arbeitern angeboten werden, scheinen sich kaum von denen der armen Ziegelböhmen der Jahrhundertwende zu unterscheiden.

Die sozialen Beziehungen der Zuwanderer geben Aufschluß über die Ablehnung, der sie sich heute wie früher ausgesetzt sehen, über ihre Notgemeinschaften und den jeweiligen Assimilationsdruck, dem sie unterliegen, oder die Konfikte, die aus den ungewohnten sozialen Normen ihrer neuen Umgebung entstehen.

Im Teil über Minderheitenund Ausländerpolitik und Vorurteile gegen Minderheiten geht auch die letzte Illusion über ein möglicherweise vielleicht doch ‚goldenes Wiener Herz‘ flöten. Neben den makrotheoretischen, gruppenpsychologischen, individualpsychologischen, rechtfertigungspsychologischen und ‚traditionsbewußten‘ Ansätzen zur Erklärung von Minderheitenfeindlichkeit finden sich Gustostückerln spezifisch wienerischen Fremdenhasses, die schlicht übelkeitserrgend ausfallen und in krassestem wie sinnlosestem Widerspruch, nicht nur zu humanen Ansprüchen, sondern auch zu den ökonomischen Interessen der Wiener Gesamtbevölkerung stehen.

Abschließend gehen die Autoren auf die kulturellen Beiträge der Migranten in Wissenschaft, Politik und Kunst, Gastronomie und Sport ein. Und dies, ohne in eine geschmäcklerisch-ausländerfreundliche Haltung zu verfallen etwa nach dem Motto: Putzen darf die Polin, Essen gehen wir dann griechisch, nachher schauen wir noch den Araberinnen beim Bauchtanzen zu.

Mit „Schmelztiegel Wien“ liegt eindeutig ein neues, bewegendes Standardwerk vor, wenn auch in Wien von ‚Schmelztiegel‘ im positiven Sinne keine Rede sein kann.

Unklar ist mir nur, warum Wiens unvermeidlicher Bürgermeister, der sich sonst mit peinlichen Plakatkampagnen und dem Hissen der deutschen Fahne auf dem Wiener Rathaus anläßlich der ‚Wiedervereinigung‘ unbeliebt macht, bei der Präsentation des Buches so begeistert war. Wahrscheinlich hat er es nicht gelesen.

Susi Harringer

Michael Klöcker, Udo Tworuschka (Hg.): Miteinander — was sonst?

Multikulturelle Gesellschaft im Brennpunkt, Böhlau Verlag, Köln/Wien 1990

Die Herausgeber haben Prominente aus dem deutschsprachigen Raum gebeten, zur multikulturellen Gesellschaft Stellung zu nehmen. Der Buchtitel , der die 63 Beiträge dann auf dem Cover ziert, spricht für den Inhalt: Seid nett zueinander!

Kein Wunder, da die werte Prominenz weitgehend dem geistlichen Sektor zuzurechnen ist, wiewohl auch eine Handvoll Sozialdemokraten zu Wort kommen. Besonderer Beliebtheit zur Gesinnungsoffenbarung erfreute sich Carl Zuckmayers „Des Teufels General“. Nicht zufällig, so scheints, wurde allein die folgende Textstelle 3 Mal(!) zitiert: „Vom Rhein das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz drauf, Hartmann und hängen Sie die Papiere ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost.“ Mit dem Ariernachweis können wir schon umgehen, gell, nur mit dem Morgenland hapert’s noch ein bisserl!

Auch „das typisch westliche Phänomen des ‚fundamentalistischen Feminismus‘, der sich wie eine fortwirkende Offenbarung auswirkt“, wird der multikulturellen (im Folgenden kurz mu-ku) Gesellschaft zugeordnet. „Freude, schöner Götterfunken — alle Menschen werden Brüder“ — die höchste aller Kulturstufen: die umfassende Brüderschaft der muku-Vereine. Mann oh Mann! Auch „Film ist praktizierte mu-ku Gesellschaft“. „Die kulturstiftende, realitätsverändernde Wirkung der Sendemedien ist erst in jüngster Zeit in (...) eindrucksvoll erkennbar geworden.“ Die ganz Schlauen wissen, was an Stelle der Pünktchen stehen sollte: Die DDR, Osteuropa etc. Doch ohne mu-ku-GesmbH ist eben kein großdeutscher Staat zu machen.

Irenäus Eibl-Eibesfeldt schreibt als einer der wenigen Klartext: Ohne archaische Abwehrmuster gegenüber Einwanderern wäre keiner von uns auf der Welt, denn „wer seine eigene genetische Verdrängung akzeptiert, redet in der folgenden Generation nicht mehr mit.“ Also haben „schon gar nicht die Politiker das Recht, eine multikulturelle Gesellschaft zu verordnen. (...) Europa ist bereits ein übervölkerter Kontinent. (...) Wenn wir nicht in den Strudel zunehmender Verelendung hineingerissen werden wollen, dann muß sich Europa bis zu einem gewissen Grad abschotten.“ Amen und EG-sei-Dank leben wir OsterreicherInnen noch am Rande einer Festung, im Schützengraben sozusagen.

Heiner Geißler, langjähriger Generalsekretär der CDU, antizipiert, daß für die mu-ku Gesellschaft in Europa wahrscheinlich Englisch die gemeinsame Sprache sein wird. Und daß sich die Ostfriesen an den Schuhplattlern erfreuen werden. Wie schön.

Das Schlußwort zu Vielfalt und Gewinn: „Multikulturalität in der Kommune kann eine Art Übungsfeld werden, ein Laboratorium für Uberlebensformen.“ In deutschen Landen trainieren meines Wissens schon mehr als 700.000 TürkInnen.

Etienne Balibar, Immanuel Wallerstein: Rasse Klasse Nation

Ambivalente Identitäten, Argument Verlag, Hamburg 1990

Warum konnte sich die Weltwirtschaft bis jetzt noch nicht in ein geeintes Weltimperium verwandeln, wenn doch die einzige wirkliche Gesellschaftsformation die Weltwirtschaft selbst ist? Die Autoren nähern sich dieser Frage über einen Versuch, Rassismus und Nationalismus neu zu interpretieren. Und zwar: Rassismus als Reaktion auf die Herrschaft der Staaten des Zentrums, Rassismus als Institutionalisierung der durch die internationale Arbeitsteilung geschaffenen Hierarchien. Es ist ein universeller Rassismus im Vormarsch, an den Sexismus systematisch gekoppelt ist. Nation und Volk werden als historische Konstruktion gedacht, die es ermöglicht, gegenwärtige Gegensätze in die Vergangenheit zu projizieren, um ein Gemeinschaftsund Stabilitätsgefühl zu verleihen. Spannung bringt auch die bewußt kontroversielle Form der Auseinandersetzung, die von verschiedenen Positionen ausgehen.

Rainer Bauböck, Gerhard Baumgartner, Bernhard Perchinig, Karin Pinter (Hg.): ... und raus bist du!

Ethnische Minderheiten in der Politik, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1988

Minderheitenpolitik ist nicht erst seit kurzem ein widerspenstiges Thema, doch die Zunahme arbeitssuchender MigrantInnen und politischer Flüchtlinge erschwert die Aufrechterhaltung nationalstaatlicher Territorien. Die in diesem Band enthaltenen Beiträge sind entweder zur Tagung der österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft zur Minderheitenproblematik oder kurz danach verfaßt worden. Obwohl vor der Öffnung des ‚Ostblocks‘ entstanden, beweist dieses Buch ungebrochene Aktualität.

Theorien über den Rassismus

Argument Sonderband 164, Argument Verlag, Hamburg 1989

Ein iranischer Asylant wird 1987 in Tübingen von einem Kaufhausdetektiv erwürgt. An Hand dieses entsetzlichen Ereignisses versuchen die AutorInnen, den Wurzeln des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit nachzugehen, sei es durch historische Deduktion des eurozentrischen Zivilisationmodells, sei es mittels ökonomischer Analyse. Auch mit Kritik am Rassismus der Linken wird nicht gespart.

Rassismus — kulturelle Identität

Argument 175, Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Argument Verlag, Hamburg 1989

Der spannendste Beitrag ist wohl der Georg Auenheimers, der dem „Kampfbegriff kulturelle Identität“ in allen Varianten auf den Grund geht: Einmal nimmt ihn neokoloniale Bevormundung in den Dienst, dann die diversen Befreiungsbewegungen. Roxanna Ng (Kanada) beschäftigt sich mit der Situation von Frauen ethnischer Minderheiten. Welches sind die Zuordnungskriterien: Geschlecht, Rasse oder Klasse?

Christian Neugebauer: Einführung in die afrikanische Philosophie

Afrikanische Hochschulschriften, München-Kinshasa-Libreville 1989

Das Buch bietet im deutschen Sprachraum einen ersten umfassenden und kritischen Überblick zur Geschichte der Philosophie in Afrika seit 1970. Es ist dem Autor gelungen, eine Brücke zwischen der europäischen und afrikanischen Philosophie zu schlagen. Es werden auch die Grundtendenzen des philosophischen Dialogs mit Afrika und die afrikanische Rezeption der westlichen Philosophie dargestellt.

Hans Christoph Buch: Haiti Cherie

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1990

Tante Erzulie erzählt. Tante Erzulie ist die Metapher der „Ewigen Hure“, die als „Süße Wilde“ 1792 von Columbus an Bord der Santa Maria entführt wird und so nach Europa gelangt. An Hand ihrer Verhältnisse mit berühmten Männern der Zeitgeschichte versucht Buch, mit den deftigen Würzmitteln Sex und Gewalt von Frankreich 1792 bis Deutschland 1945 Örtlichkeit und Zeitlichkeit zu verschmelzen. Eine Geschichtsgroteske, am gleichmütigen Körper des mystifizierten Weiblichen ausgetragen. Im zweiten Teil des Romans beschreibt H. C. Buch die ‚Zombifizierung‘ Haitis und die Voodoodiktatoren Papa und Baby Doc Duvalier als einen real existierenden politischen Alptraum. Und dieser gelingt ihm weitaus besser als der erste Teil.

Ulrike Sladek

Bernhard Perchinig: „Wir sind Kärntner und damit hat sich’s ...“

Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten, Drava, Celovec/Klagenfurt 1989

Eine vorzügliche Abhandlung über die historische Entwicklung des Deutschnationalismus in Kärnten von 1848 bis heute, eine empirische Untersuchung des politischen Bewußtseins deutschsprachiger Menschen einer zweisprachigen Fremdenverkehrsgemeinde Südkärntens und psychologische Analysen zur Funktion lokaler Männerbünde, zu Ideologierezeption und dem deutschnationalen Mythos scheint mir genau das Buch der Stunde zu sein: Ein Gegenpol zu den penetranten Feierlichkeiten des siebzigsten Jahrestages der Volksabstimmung in Kärnten.

Karl S. Althaler/ Sabine Stadler (Hg.): Geld und Leben

Diskussion um soziale Mindeststandards, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1990

Soziale Sicherheit in Österreich, dieser angeblichen Insel der Seligen, die Zuspitzung der Zwei-Dritttel-Gesellschaft, Tendenzen der Arbeitsmarktentwicklung, der Altersversorgung und Familienpolitik, das System der Arbeitslosenversicherung und sozialen Mindestabsicherung, Thesen zu einem fixen Grundeinkommen. Die Beiträge stammen von Ingrid Rowhani, Rainer Bauböck, Maria Orthofer-Samhaber, Manfred Srb und vielen anderen Fachleuten. Ein Sammelband, der einen fundierten, desillusionierenden Überblick über die österreichische Situation bietet.

Gerhard Armanski: Wir Geisterfahrer e.V.

Lust und Last am Automobil, AJZ, Bielefeld 1990

Das Auto ist gekommen, um den Uneinsichtigen zu beweisen, daß die Erde tatsächlich rund ist, daß das Herz nur ein dichterisches Requisit ist, daß der Mensch zwei Standardzähler in sich trägt: Der eine zeigt die Kilometer, der andere die Minuten.

(Ilja Ehrenburg)

Das Auto als individualund massenpsychologisches Phänomen, als Fetisch, als Übungsgegenstand der kapitalistischindustriellen Gesellschaft, als Apotheose der modernen Produktions- und Konsumptionsweise, in seiner ideologischen, militärischen, sexuellen Dimension: eine wirklich umfassende, gescheite, engagierte Abhandlung über die Faszination dieses Symbols unseres Jahrhunderts, mit Beispielen aus Kunst und den entsprechenden Comics.

Cornelia Giese: Gleichheit und Differenz

Vom dualistischen Denken zur polaren Weitsicht, Frauenoffensive, München 1990

Ziel dieses Buches ist eine Einführung in die verschiedenen, divergierenden feministischen Ansätze wie Geschlechterneutralität contra Geschlechterdifferenz, Politik contra Spiritualität, Historie contra Mythologie/Symbolik, Kultur contra Natur und ein gegenseitiges Verständnis, um nicht zu sagen eine Versöhnung zwischen den Kontrahentinnen.

Feministische Theologie, speziell im christlichen Bereich, ist mir persönlich nicht im geringsten ein Anliegen, und schon gar nicht auf rechthaberische, wenn auch betuliche Weise.

Andererseits, wer will sich schon als verbohrte, fanatische Vertreterin einer Richtung deklarieren? Also, in Göttins Namen, soll bitte die „einzig angemessene Antwort ’‚Sowohl als auch‘“ lauten.

Hélène Cixous: Das Buch von Promethea

Wiener Frauenverlag, Wien 1990

Dieser Roman der berühmten feministischen Philosophin entzieht sich einer schlichten Rezension. Soviel sei jedenfalls gesagt: Es geht in sehr bildhafter, symbolträchtiger Sprache, um die Liebe, die Liebe von und zwischen Frauen. Wunderhübsch ausgestattet, von Karin Rick trefflich aus dem Französischen ins Österreichische übersetzt, scheint mir „Promethea“ vor allem für die gebildete Feministin von Welt geeignet zu sein.

Maureen T. Reddy: Detektivinnen

Die Frau im modernen Kriminalroman, Guthmann & Peterson, Wien 1990

In dieser ersten deutschsprachigen Analyse feministischer Elemente des Kriminalromans untersucht Maureen T. Reddy ausschließlich weibliche Kriminalautorinnen mit weiblichen Hauptfiguren. Der Bogen reicht von feministischen Anflügen bei Agatha Christies Miss Marple bis zu modernen Lesbenkrimis von Valerie Miner und Lauren Wright Douglas. Laut neuerer Erkenntnisse gehört der Frauenkrimi einem Kontinuum der weiblichen Literatur an und steht in der Tradition des weiblichen Schauerund Sensationsromans. Mit Ansätzen aus Nancy Chodorows Psychoanalyse, Elaine Showalters Literaturtheorie und Adrienne Richs feministischer Theorie geht die Autorin kenntnisreich und liebevoll auf die Verdienste zahlreicher Detektivinnengestalten ein. Mit dieser kritischen Würdigung beweist Maureen T. Reddy, daß Frauenkrimis nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern an der Schaffung einer feministischen Gegenutopie teilhaben.

M.S.

Joyce Carol Oates: Im Zeichen der Sonnenwende

Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1990

Ein weiterer Baustein zum Mythos von der gefährlichen Frauenfreundschaft, die letztlich die beteiligten Frauen bedroht und verschlingt. In der bedrückenden, spießigen Atmosphäre eine amerikanischen Schulstadt lernt die frisch geschiedene Lehrerin Monica die exzentrische Malerin Sheila kennen und sonnt sich anfangs in deren Zuneigung. Allmählich stellt sich heraus, daß die Beziehung ihre Tücken hat. No ja.

Susi Harringer

Hanswerner Mackwitz/Adam Adler: ÖKO-Tricks und BIO-Schwindel

Orac-Verlag, Wien 1990

Jedenfalls war Autor Hanswerner Mackwitz bereits in Linz. Er habe, formuliert die Staatspolizei im Chemiker-Akt, in der Stahlstadt mehrmals „beobachtet“ und zwar Betriebsanlagen der ansässigen Chemiefabrik. Und nicht nur das. Eine ganze Litanei verruchter Taten des Grünen-Mitarbeiters doziert Mackwitz-Freund Bernd Lötsch aus den reichhaltigen Stapo-Beständen in seiner Laudatio anläßlich der Präsentation des genannten Buches.

Ein Buch, das Hans A. Pestalozzi, wie er bescheiden im Vorwort anmerkt, „gerne selbst geschrieben hätte. Es schafft Klarheit in einem Meer von Gaunerei und Bio-Nepp. Das war überfällig.“ Und begrüßt die beiden Autoren in der verschworenen „Gemeinschaft von Journalisten und Schriftstellern, die sich engagieren, anstatt sich engagieren zu lassen.“

Mackwitz und das Pseudonym Adler rechnen ab. Mit Produzenten und Verteilern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dem Gewinn unsere Lebensbedingungen zu opfern.

Doch die Autoren beschränken sich nicht nur auf Anklagen im Namen des Humanismus, der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilungspflicht oder einer postulierten und nie erfüllten weil unerfüllbaren grundsätzlichen sozialen bzw. ökologischen Unternehmersensibilität. Sie dokumentieren wiewohl von eminenter Wichtigkeit nicht nur die umweltwissenschaftlichen Fakten der Chemie- und Bioszene betreffend Kunststoffe, Pestizide, Waschmittel, Farben, Lacke, Kosmetik, Genußmittel; betreffend das Geschäft mit dem Müll und der Energie. Sie nennen nicht nur Produkte, Unternehmer und Unternehmen beim (Marken)Namen und erklären uns breitenverständlich, was wir wann warum nicht kaufen oder sonstwas sollten. Sie schrieben nicht einfach ein weiteres Öko-Buch als Anleitung zu umweltverträglicherem Treiben von und für diejenigen, die mal ausschließlich bei sich selbst anfangen wollen, ein bißchen öko-biorunderneuert, ansonsten aber aufrecht zufrieden.

Mackwitz, in Österreich lebender deutscher Staatsbürger, erinnert sich an seine Basler Lehrjahre, während der er nicht nur Chemie, sondern auch politische Philosophie studierte. „Wir leben“, schreibt er da, „in einer Marktwirtschaft. Die ist, nüchtern betrachtet, weder sozial noch ökologisch und daher auch nicht ökosozial. Die Marktwirtschaft ist eine Form des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur. Die Produktivität der Natur wird in der Marktwirtschaft zur Ware. Dazu muß Natur erschlossen, in ihre Bestandteile zerlegt und in die gewünschte Warenform gebracht werden. Die ökosoziale Marktwirtschaft wird zum Rettungsengel der freien Marktwirtschaft, zum Deus ex machina des Umweltdesasters stilisiert, obwohl doch die beiden Begriffe historisch gar nicht vereinbar sind. Die soziale Marktwirtschaft ist nach 1945 aus einer Verschmelzung von Kapitalismus und Liberalismus (mit einem Quentchen Marx) entstanden. Was dabei auf der Strecke blieb, war die Umwelt und das Quentchen Marx. Jetzt soll mit dem Begriff ökosozial die Marktwirtschaft aufgemotzt und das Ausbeutungsprinzip hinter einer grünen Fassade versteckt werden.“

Und anderswo: „Die Umverteilung läuft seit den siebziger Jahren ganz im Sinne des Kapitalismus: Von den Minderbemittelten zu den Reichen.“ Wer davon profitiere, seien die Banken, Unternehmer, Hauseigentümer usw. Wer nicht vom ewigen Wachstum und Immer-öfter-und-möglichst-Größer profitiert, sind wir und unser Lebensumfeld.

Mackwitz & Adler thematisieren so ziemlich alles, was der ökologischen Avantgarde zur Zeit Anliegen ist. Hübsch geschrieben und, erfrischend, wenig rumlavierend. Sie fragen nach Ursachen und suchen nach Antworten, sie geben sie nicht einfach.

Und noch etwas: Wer Hanswerner Mackwitz auf Grund seiner zahlreichen Auftritte in Funk, Fernsehen und Print auch in der MONATSZEITUNG als zuständiger Experte, der formulieren darf, was die Betroffenen fühlen, kennt und fürchtet, sei entwarnt: Der oft geübte demokratieund medienpolitische Konsens, der mitunter Hirn und Herz verklebt, hat ihn nicht schlapp werden lassen. „ÖKO-Tricks und BIO-Schwindel“ ist ein hübsches Buch — und damit, mein’ ich, singt was seine Verkaufszahlen betrifft — für die Autoren im Frühjahr ganz sicher nicht die Lerche.

K.L.