MOZ, Nummer 51
April
1990

„Biercrawalle und andere Excesse ...“

Arbeiter, Gesellen und Knechte protestieren gegen Preissteigerungen und soziale Ungerechtigkeiten.

Die Stimmung in der Bevölkerung war nach den vierteljährlichen Berichten der Statthalterei für Oberösterreich und Salzburg bereits im ersten Quartal des Jahres 1860 schlecht: die Niederlage von Solferino und der Verlust der Lombardei, die spürbare Aufweichung des neoabsolutistischen Regimes, das neue Gesetz über die Gewerbefreiheit. „Ungewisse Verhältnisse, Unruhe, Unrast und Aufregung haben die Bevölkerung Oberösterreichs, die grundsätzlich loyal ist, ergriffen.“ Am stärksten aber habe sich die „Theuerung des Bieres ausgewirkt, die von den meisten Bräuern erhoben worden ist, ebenso wie die Besteuerung des Hausbedarfes an Most einen üblen Eindruck gemacht und sich die Bevölkerung an vielen Orten gegen beides ausgesprochen hat.“

Nieder mit den Brauern!

Nach der zweiten Preiserhöhung im laufenden Jahr war es im oberösterreichischen Steyr soweit. Am Abend des 10. April 1860 sammelten sich mehrere hundert Eisenarbeiter unter Pfeifen und Johlen vor dem Rathaus und verlangten eine Rücknahme der Preiserhöhung von 7 auf 8 Kreuzer pro Halbe Bier, die alle Brauer und Wirte der Stadt verfügt hatten. Sie schimpften die Brauer „gotteslästerlich“. Nachdem die Menge immer mehr angeschwollen war und eine drohende Haltung eingenommen halte, erschien der etwas eingeschüchterte Bürgermeister auf dem Balkon. Er ließ die Brauer vorladen und ermahnte sie im öffentlichen Interesse zur Aufgabe der Preiserhöhung. Nachdem sich diese dazu bereit erklärt hatten, zerstreute sich die Menge unter Hochrufen. Nach zwei Tagen war sie wieder vor dem Rathaus.

Diesmal forderten sie eine Bestrafung der Brauer wegen unerlaubter Preisabsprache und eine Garantie, daß das Bier nicht verwässert werde. Als die Arbeiter mehr als eine Stunde gewartet hatten, lösten sich einzelne Gruppen, um den Brauern eine Katzenmusik darzubringen. Der Bürgermeister verkündete die sofortige Einleitung einer Untersuchung, in deren Verlauf dann vier Brauereibesitzer auch gerichtlich verurteilt wurden. In diesen Tagen wurde in Steyr in den Fabriken, Werkstätten und an den Wirtshaustischen viel geredet. „Erinnerungen an 1848 tauchten auf ...“, hieß es in einem Konfidentenbrief an die Polizeidirektion, und: „Die Aufruhre in der verflossenen Woche sind nur eine Vorbedeutung des Vorhabens der Bewohner von Steyr, Sierning, Sierninghofen, Neuzeug und der umliegenden Landleute, von welchen sich schon gegen 700 entschlossen haben, wie in der verflossenen Woche Demonstration und Angriff auf das Kreisamt, Rathaus und Bezirksamt vereint zu beginnen. Die Ursachen sind, von der Zeitströmung abgesehen, der Unmut der Landleute wegen der Moststeuer, der Schmied- und Eisenleute wegen Brot und Fleisch, vor allem aber wegen der Theuerung des Bieres.

Katzenmusik und Insulte

Die Emotionen, die sich am Bierpreis entzündeten, hängen mit der doppelten Funktion zusammen, die dieses Getränk im 19. Jahrhundert für die Bevölkerung hatte. Immer wieder räumten auch konservative und klerikale Zeitungen in ihren Kommentaren ein, daß Bier auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die männlichen Arbeiter so etwas wie ein Volksnahrungsmiltel gewesen ist. Oft wurde tagsüber nur Suppe, Brot und Bier konsumiert. Daneben war das Bier aber auch ein wichtiges Medium der Geselligkeit. So wurde die Erhöhung des Bierpreises auf jeden Fall als schmerzhafter Eingriff empfunden: einmal als Teuerung, die den geringen Verdienst schmälerte, zum anderen als Eingriff in die ebenfalls nur knapp vorhandene Freizeit. Die Proteste pflegten sich lautstark zu artikulieren, mit Drohgebärden oder massiveren Handlungen. Häufig kam es zur Darbietung einer sogenannten Katzenmusik, einer sehr alten Form des Protests. Einer Person oder dem Vertreter einer Institution, der gegen bestimmte gesellschaftliche Regeln oder Moralvorstellungen verstoßen hatte, wurde der Unmut so gezeigt, daß man unter Verwendung aller möglichen Geräte und Werkzeuge, wie Töpfen, Schaufeln, Blechbüchsen etc., vor dessen Haus möglichst viel Lärm erzeugte.

Steyr — Stadt des Protestes

Eine Aufstellung der Bezirkshauptmannschaft Steyr wies für die Jahre 1871-1875 neun „Exzesse“ auf, die spektakulärsten davon waren wieder im Zusammenhang mit Bier. Am 7. November 1871 veranstalteten etwa 500 Personen vor dem Rathaus einen „Bier-Rummel“. Die Proteste verliefen wie ehedem, die Steyrer hatten wieder Erfolg und brachten die Preiserhöhung zu Fall. Am 31. August 1874 kam es in Steyr zu größeren Unruhen, die von der gerichtlichen Delogierung eines Arbeiters ausgingen. Der Hinauswurf der Arbeiterfamilie war als ungerecht empfunden worden. Hunderte beteiligten sich dann an den Angriffen gegen den Hausbesitzer, dessen Wohnung und Haus man demolierte, er selbst wurde mit dem Leben bedroht. Als im Haus alles zertrümmert war, hörte man den Ruf: „Auf zu den Brauern! Sie müssen uns das Bier billiger geben!“ Der erste Gastwirt erklärte aus Furcht vor Krawallen, den Bierpreis senken zu wollen. Die Demonstranten erzwangen dies auch von den anderen Wirten. Inzwischen war ein Militärbataillon eingetroffen, das die Straßen sperrte. Erst nach Stunden konnte der Exzeß beendet werden und es dauerte noch Tage, bis gänzlich Ruhe in der Stadt eingekehrt war.

Die Wirkung von Katzenmusik und Krawallen lag in der engen Einbindung des Meisters, Brauers, Hausbesitzers etc. in eine (klein-) städtische oder dörfliche Umwelt. Mit sich ändernden sozialen und wirtschaftlichen Strukturen — die Unternehmen wurden größer und anonymer, Migration und Fluktuation stiegen — verschwand dieser Faktor zusehends. Organisiertere und zivilisiertere Protestformen wie Streik und Boykolt wurden dominant.

Anders war es in Steyr. Die Stadt blieb über Jahrzehnte gleich klein, bei gleichzeitig großer sozialer Homogenität. In der Stadt stellten die Metallarbeiter mit ihren Familien etwa zwei Drittel der Bewohner. Von den wenigen Großbetrieben abgesehen, waren die Unternehmer nun mit diesem Potential konfrontiert. Als der Schraubstock- und Windenbetrieb Teufelmayr 1889 in einer Zeitung wegen überlanger Arbeitszeiten kritisiert wurde und auch zahlreichen Arbeitern durch seine Schmiedehämmer in der Nacht den Schlaf raubte, führte dies zu tagelangen Ausschreitungen und zum Militäreinsatz. In Steyr wurden diese frühindustriellen Protestformen bis in die Erste Republik hinein gepflogen.

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