Heft 4-5/2003
August
2003

Austrian Social Forum

Betrachtungen zum und Versuch einer Einschätzung des bisher größten Festi­vals gesellschafts­kritischer Debatten in Österreich.

Als 1999 in Seattle Massen in neuen Organisations­formen gegen die WTO auf die Straßen gingen und im selben Jahr in Porto Allegre Zehntausende am ersten World Social Forum in ihren Diskussionen den Slogan „ei­ne andere Welt ist möglich“ prägten, witterten viele Lin­ke die Morgenluft einer neu­en revolutionären Bewegung. Andere warnten und warnen davor, dass diese Bewegung systemstabilisierend und dem Bestehenden über Staats­affirmation und reformis­tische Perspektiven verhaftet sei, andere glauben sogar, ei­ne nicht etwa inhaltlich breit­gefächerte und widersprüch­liche sondern eine schlichtweg reaktionäre Bewegungs­konstellation entstehen zu se­hen. Alle diese theoretischen Zugänge beziehen sich auf unterschiedlich zu gewich­tende Aspekte der Entwick­lung und kommen in ihrer Verabsolutierung zu unange­messenen, teils falschen Schlussfolgerungen.

Auf die Vielzahl an Netz­werken, Protesten und „Fes­tivals“, die seit Ende der 90er Jahre weltweit entstanden und passiert sind, wollen wir im folgenden nicht eingehen. Einzig: ihre Subsumtion un­ter den Begriff „globalisie­rungskritische Bewegung(en)“ verwischt die Differenzen zwischen den verschiedenen AkteurInnen und Ereignissen in einer Weise, dass die auf diese Homogenisierung auf­bauende Analyse von den verschiedenen in diesen Be­wegungen existierenden Ten­denzen einige als fürs Ganze charakteristisch und unum­stritten behauptet und damit teilweise fehl geht. So wird z.B. von vielen KritikerInnen der „Antiglobalisierungsbe­wegung“ (ein anderes verbreitetes Unwort) auf den verbreiteten Antiamerikanis­mus [1] zurecht hingewiesen, ohne darauf einzugehen, dass dieser in den Bewegungen nicht unwidersprochen bleibt und auf Gegenkräfte stößt, die Kritik an US-amerikani­schem außenpolitischen oder wirtschaftlichen Vorgehen nicht mit Ressentiments ver­knüpfen.

Der Hinweis auf Vielfalt und Differenz soll aber nicht der Immunisierung gegen Kritik dienen, sie verweist auf eine sehr widersprüchliche Qualität der „Bewegung der Bewegungen“ (Fausto Berti­notti), die in die Analyse ein­bezogen werden sollte.

Nun aber zum Thema, zu ei­nem kleinen Event, das sich in den Rahmen dieser weltweiten Bewegungen stellte. Abgeleitet von den Vorbil­dern Weltsozialforum und European Social Forum (an dem letzten November ca. 800 Menschen aus Österreich teilnahmen) fand Ende Mai in Hallein das erste „Austrian Social Forum“ statt.

Bei diesem für öster­reichische Verhältnisse gut besuchten und bereits von vielen Organisationen in der Vorbereitung getragenen Festival gesellschaftskriti­scher Debatten diskutierten etwa 1500 Menschen in über 200 Veranstaltungen ihre Vorstellungen einer „ande­ren Welt“. Die sehr offenen, fast basisdemokratischen Strukturen in der Vorberei­tung spiegelten sich auch am Forum selbst wider. Ein Zentrum konnte gar nicht, bestenfalls in einem kleinen technisch-administrativen „ASF-Büro“ ausgemacht werden, das ASF war ein buntes, allen Interessierten zugängliches Gelände, an dem fast (dazu weiter unten mehr) alles von Menschen unterschiedlichster Zugänge diskutiert werden konnte. Teilgenommen haben GewerkschafterInnen, feminis­tische Gruppen, Autonome, MigrantInnengruppen, KommunistInnen, Grüne, ATTAC-AktivistInnen und So­zialdemokratInnen. Aber auch einige TierrechtlerIn­nen, EsoterikerInnen, teils konservative Umweltschüt­zerInnen hatten Veranstal­tungen angemeldet, drei als ReferentInnen Eingeladene wurden kurz vor und am ASF von TeilnehmerInnen und vom „Dokumentations­archiv des österreichischen Widerstandes“ als Rechte entlarvt. Für die Veranstal­tungen und Einladungen trug aber kein Komitee oder dergleichen die Verantwor­tung, die Offenheit der An­meldung von Beiträgen war Teil der in der Folge auch kritisierten basisdemokrati­schen Vorbereitungsarbeit.

Diese bunte Versamm­lung mit „Linke“ zusam­menzufassen wäre Humbug, genauso wie ihr zuzuschrei­ben, sie wäre der Kern für fortschrittliche Gesellschaftsveränderung. Das ASF war nicht mehr und nicht weniger als die Verdichtung der Debatten über viele Aspekte der gesellschaftli­chen Formierung, ein Kno­tenpunkt zwischen WissenschafterInnen und Aktivis­tInnen, ein Kennenlernen und Streiten zwischen unter­schiedlichen politischen Kulturen. Emanzipatorische, antikapitalistische Positionen waren nicht hegemonial, ein Ringen darum war aber in sehr vielen Veranstaltungen bemerkbar und einige Orga­nisationen und Gruppen luden zu sehr spannenden Dis­kussionen zu antirassisti­schen Themen, zu Fragen der Widerstandsformen und -Organisation, zu Drogenpo­litik, zu Patriarchatskritik und Frauenbewegung, zur Kritik von Re-Regulierungs­perspektiven und vielem mehr. Wo notwendige theo­retische Tiefe fehlte, konnte mensch sich Informationen zu Themen holen, die sonst nicht im Mittelpunkt des ei­genen Interesses stehen, Dis­kurse analysieren, sie zu be­reichern oder brechen ver­suchen.

Mehrmals wurden Veran­staltungen von Teilnehme­rInnen gestört, gab es hefti­ge Kritik an am ASF nicht zu duldenden Positionen. Etwa beim einzigen Workshop zum Nahost-Konflikt, in dem von der einladenden Grup­pe heute formulierter Anti­zionismus pauschal gegen den Vorwurf des Antisemitis­mus in Schutz genommen wurde. An dieser Veranstal­tung gab es bereits im Vor­feld Kritik, die sich nicht durchsetzen konnte, die An­regung ihr wenigstens eine weitere, kritische Diskussion entgegenzustellen wurde be­grüßt, aber letztlich von nie­mandem aufgegriffen. Eine weitere Diskussion wurde verhindert, indem zir­ka 30 AktivistInnen einem verschwindend kleinen Pu­blikum und der rechtsextre­men Referentin Hemma Poledna auf dem ASF keinen Platz für ihre Veranstaltung zu „mehr direkter Demokra­tie“ ließen. Es wurde keine autoritäre Instanz angerufen, sondern vor Ort selbst gehandelt.

Bereits in den Monaten vor dem ASF gab es Vorwür­fe, die OrganisatorInnen seien offen für rechte Positionen. Ein weiteres Beispiel soll zei­gen dass diese Kritik nur zum Teil stimmt: Nachdem das DÖW auf die Einladung des deutschen rechten und antisemitischen Publizisten Franz Alt aufmerksam gemacht hat­te, bedankte sich der Work­shopleiter für die Information über diese angeblich unbe­dachte und unüberprüfte Übernahme einer Empfeh­lung. So weit so schlecht. Sei­ne nachgefügte Aufforderung an alle am kommenden ASF 2004 Beteiligten, durch mehr Aufmerksamkeit der Teilnah­me solch unakzeptierbarer Personen vorzubauen und mehr Bedacht auf die Ab­grenzung gegenüber Rechten zu legen, stieß auf große Beachtung und Zustimmung. Das nächste „Festival gesell­schaftskritischer Debatten“ wird auch daran zu messen sein, inwieweit dieses Be­kenntnis auch umgesetzt werden wird. Die bereits anvi­sierte früher angesetzte Frist zur Anmeldung von Veran­staltungen wird die Durch­sicht der ReferentInnenlisten und die Auseinandersetzung über abzulehnende Beiträge jedenfalls erleichtern, die von allen in der Vorbereitung Be­teiligten zu treffenden Ent­scheidungen über notwendige Grenzziehungen aber nicht erübrigen.

Bild: Fotosammlung DÖW

Verglichen mit den Sozial­foren in Italien, Frankreich oder Griechenland wirkte das ASF wie ein zaghafter Nachvollzug einer Mobilisierungs- und Auseinandersetzungsform, was aber auch nicht den OrganisatorInnen anzulasten ist, sondern eher eine Spiegelung der gesell­schaftlichen Kräfteverhält­nisse darstellt. Nicht wenige GewerkschafterInnen disku­tierten am ASF wohl das er­ste Mal mit KommunistIn­nen und anderen Linken über ihre Haltungen zu So­zialsystemen, gewerkschaft­lichen Kampferfahrungen und über Rassismus und Sexismus in ihren Organisa­tionen. Ob dieses Aufeinan­dertreffen fruchtbar war und die beginnende Bündnisar­beit und entschlossenere Haltung der Gewerkschafts­aktivistInnen fortgesetzt wird, werden wir sehen.

Im Gegensatz zu der in der Linken Italiens fest in der Tradition der Befreiungsbewegungssolidarität stehenden Solidarität mit den Palästi­nenserInnen, in der aber namhafte Stimmen (z.B. Fau­sto Bertinotti von der Rifondazione Comunista) differen­zierte und keineswegs anti­israelische Positionen ein­bringen und die Methoden der 2. Intifada klar verurtei­len, fiel am ASF bezüglich des Nahost-Konflikts vor al­lem eines auf: der Mangel an Auseinandersetzung, mar­kiert durch die oben erwähn­te Veranstaltung zu „Anti­zionismus ist nicht gleich Antisemitismus — warum vol­le Solidarität mit der Intifa­da?“, die schon im Vorfeld kritisiert und am ASF von KritikerInnen gestört wurde.

Zu einem Forum wie dem ASF finden sich jedenfalls zwei Typen von Organisatio­nen und Menschen ein: sol­che, die ihr leicht unterfüt­tertes aber fest geschnürtes Propagandaprogramm ab­spulen, ohne an Auseinan­dersetzung im wechselseiti­gen Sinne überhaupt interes­siert zu sein; und solche, die in der Einsicht oder Ahnung kommen, dass ihre bisherige Praxis, ihre Gesellschafts­erklärungen und Politikvorstellungen teilweise ins Wan­ken geraten sind und dass Kritik, Neuorientierung, und das Erstarken einer neuen umfassend herrschaftskriti­schen Bewegung notwendig und möglich sind. Sie scheinen uns in der Mehrzahl und auseinandersetzungs-, hinterfragungs- und veränderungs­begierig.

Das Fernbleiben von Ini­tiativen, die mit ihren Beiträ­gen zu Antisemitismus, fal­scher Kapitalismuskritik in der globalisierungskritischen Bewegung, kritischen Kon­trapunkten zu den unter­schiedlichen Antikriegshal­tungen, zur fehlenden oder schwächelnden Staatskritik etc. dieses Festival der in­haltlichen Auseinanderset­zung nicht nur bereichert, sondern auch Gehör gefun­den hätten, sei diesen freige­stellt. Viele TeilnehmerInnen des ASF hätten aber mehr Kontroversen begrüßt und sie auch aufgegriffen. Wie sich in der Debatte um einen sexistischen Übergriff am ASF gezeigt hat, dass viele TeilnehmerInnen nicht nur „problembewusst“ sondern auch veränderungswillig sind, zeigte sich ansatzweise auch in anderen Fragen eine nicht zu ignorierende Kritikfähig­keit.

Zivilgesellschaftliche Formie­rungen sind nicht per se links, über ihre inhaltliche Ausrich­tung muss heftig gerungen werden. Wenig zielführend erscheint uns die Strategie, abseits stehen zu bleiben und das zu kritisieren, was die Fol­ge der selbstgewählten Absti­nenz wäre: die Entwicklung nach rechts!

Marxistische Theoriebil­dung und Kritik, auch radi­kale Kritik an bestehenden Formationen und Positio­nen, sollte die Orte nicht meiden, denen sie ihre Auseinandersetzung (auch) wid­met: die Orte real sich for­mierender, um gesellschaft­liche Veränderung bemüh­ter Bewegungen. Solange dies aufgrund innerlinker Verwerfungen und homoge­nisierender Zuschreibungen nicht möglich ist, tun jeden­falls die verschiedenen Or­ganisatorInnen des Austrian Social Forums gut daran, Kri­tik von außen ernst zu neh­men, um das Einsickern von rechten Ökopositionen, anti­semitischen Positionen im Kleide des Antiimperialis­mus oder antifeministischen Strömungen zu verhindern. Ebenso tun KritikerInnen gut daran, ihre Analysen dem Objekt, das nicht über einen Kamm zu scheren ist, anzupassen, der Differen­ziertheit ebenso Rechnung zu tragen wie dem eigenen Anspruch, die Kritik der herrschenden Verhältnisse voranzutreiben.

[1Zur Begriffsklärung siehe Dan Diner: Feindbild Amerika, Propyläen Ver­lag, 2002 — rezensiert in Context XXI 2-3/2003.

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