Grundrisse, Nummer 22
Juni
2007

... auf den Geschmack gekommen – sechs Monate Streik bei Gate Gourmet

Ein Rezensionsessay
Minimol

Arbeiten oder Streiken? Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom Arbeiten her: Streiken!

streikende Küchenhilfe/Produktionsarbeiterin
(Umschlag Rückseite)

Die Entscheidung für den Streik war für mich schwer, weil das gegen meine bürgerliche Existenz an sich geht. Von meiner Herkunft her bin ich kein Streiker. Wenn da steht „Solidarität“ ... das ist einfach Träumerei. Das ist nie die Gedankenwelt unserer Familie gewesen.

streikender LKW-Fahrer
(Seite 107)

Ein ganzes Buch über einen Streik von knapp 80 Menschen bei einem Flughafen-Catering-Betrieb, der noch dazu kaum als Erfolgsstory bezeichnet werden kann?

Zunächst einmal sind Fabriken und fabriksähnlich organisierte Betriebe zwar aus den Köpfen verschwunden, nicht jedoch aus der Realität. Wie die beiden französischen Soziologen Stéphane Beaud und Michel Pialoux in der Einleitung zu ihrer Studie „Die verlorene Zukunft der Arbeiter“, die 2004 auf Deutsch erschienen ist, feststellen, sind ArbeiterInnen gesellschaftlich unsichtbar geworden. Dieser Umstand lässt sich unter anderem daran festmachen, dass ihre tatsächliche Anzahl systematisch unterschätzt wird, wie sich bei Befragungen von StudentInnen der Soziologie in Frankreich herausgestellt hat. Theorien über die „Dienstleistungsgesellschaft“, die die ökonomische Überflüssigkeit der ArbeiterInnen verkünden, stünden dem Kapital zur Seite, so die HerausgeberInnen des Buches über den Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf. Nun sind Flugzeug-Catering-Firmen wie Gate Gourmet zum Einem Dienstleistungsunternehmen, d. h. die Kundin nimmt nur den affektiven Teil der Arbeit wahr, während der dahinter liegende Produktionsprozess – und mit ihm die dort Arbeitenden – unsichtbar bleiben. Zum Anderen sind Flughäfen durch die rasante Zunahme von Passagierzahlen und Luftfracht zu riesigen ArbeiterInnenkonzentrationen geworden – am Düsseldorfer Flughafen, der den Passagierzahlen nach der drittgrößte Deutschlands ist, sind 15.000 Menschen beschäftigt. Aus zwei Gründen glauben die HerausgeberInnen, dass Flughäfen eine besondere Bedeutung bei ArbeiterInnenkämpfen zukommen kann: erstens weil sie nicht so ohne Weiteres verlagerbar sind und zweitens weil die Arbeit am Flughafen wie sehr eng verkettete just-in-time-Produktion funktioniert, was dazu führt, dass kleine Aktionen große Verzögerungen auslösen können, die auch relativ schnell Auswirkungen auf den internationalen Flugplan haben. Denn die stets drohenden Delays, mit denen die ArbeiterInnen unter Druck gesetzt und angetrieben werden, können von diesen auch gegen die Unternehmen gewendet werden. Insbesondere durch das System der Slots – Zeitfenster, die von den Fluggesellschaften gekauft werden; bei Überschreitung des Zeitfensters muss auf das nächste gewartet werden – können aus wenigen Minuten Verspätung schon mal Stunden werden, was finanzielle Auswirkungen auf die Firmen hat, da dann Vertragsstrafen fällig werden.

Der von Oktober 2005 bis April 2006 anhaltende Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf ist für die HerausgeberInnen, die dem UnterstützerInnenkreis des Streiks entstammen, in mehrerer Hinsicht exemplarisch – einerseits was Eigeninitiative und Selbstermächtigung betrifft, andererseits aber auch hinsichtlich der aktuellen Schwierigkeiten von ArbeiterInnen, Macht zu entwickeln. Detlef Hartmann wiederum spricht in seinem Beitrag über die auch bei Gate Gourmet aktive Unternehmensberaterfirma McKinsey von einem „modernen“ Streik, dessen Bedeutung darin liege, dass sich bei den Streikenden durch „die Beharrung auf ,Menschenwürde‘, die Auseinandersetzung mit dem Zugriff auf das ,eigene Selbst‘ und mit der Infektion durch den ,Virus‘ der Selbstrationalisierung die Dimensionen des Zusammenpralls erkennen (lassen)." (Seite 215) Hartmann schließt seinen Beitrag mit den Worten: „Es ist ein kapitalistischer Mythos, dass das ,Selbst‘ und der ,Eigenwillen‘ nunmehr in seiner Gesamtheit zu einer produktiven Ressource geworden ist. Es gibt nach wie vor eine Grenze und ein Außen der Zugriffe, auch wenn sie weiter ins Innere des Selbst getrieben werden. Eine ihrer Manifestationen, und noch dazu eine sehr artikulierte, haben wir im Streik bei Gate Gourmet erlebt.“ (Seite 223)

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sich deutlich herauskristallisiert – und in Debatten um die Prekarisierung der Arbeit oft zu kurz kommt –, ist die auch quantitativ zunehmende Rolle der Leiharbeit bei der Spaltung und Neuzusammensetzung der Arbeit. Ein Problem, das den KollegInnen von Gate Gourmet Düsseldorf während des Streiks (Streikbruch) und nach Ende des Streiks (vermehrter Einsatz von LeiharbeiterInnen) schwer zu schaffen machte. Interessant und positiv die Versuche nach Beendigung des Streiks, die Spaltung innerhalb des Betriebs zu überwinden und gezielt die spezifischen Probleme der LeiharbeiterInnen anzusprechen. Bemühungen der UnterstützerInnen Interviews mit streikbrechenden LeiharbeiterInnen zu führen, die oft nicht allzu glücklich mit ihrer Rolle als Streikbrecher waren, scheiterten leider trotz einiger vager Zusagen an den Einschüchterungen der SklavenhändlerInnen.

Das Buch ist als Lesebuch von ArbeiterInnen für ArbeiterInnen konzipiert. Dementsprechend viele Beteiligte – Streikende, aber auch UnterstützerInnen – mit all ihren Widersprüchen und Zweifeln kommen darin zu Wort. Durch die aktive Beteiligung am Streik, die versuchte sich an den Bedürfnissen der ArbeiterInnen zu orientieren und nicht besserwisserisch daherzukommen, konnten die UnterstützerInnen mit vielen Beteiligten sprechen und auch deren Vertrauen gewinnen. Durch die lange Streikdauer konnten aber auch die Streikenden selbst – befreit von der täglichen endlosen Plackerei – über sich selbst und ihr Verhalten ausführlich reflektieren. Die mannigfaltigen Erfahrungen aus dem Gate-Gourmet-Streik anderen zugänglich zu machen ist Absicht des Textes, der folgerichtig nicht laut dröhnend heroisch daherkommt, sondern leise und minutiös genau, analytisch bezüglich der vielen Schwächen, Widersprüche und zu spät erkannten Probleme. Fehleinschätzungen und Versäumnisse werden ausführlich angesprochen.

Der Mikrokosmos eines Flughafen-Cateringbetriebes wird entfaltet. Im Besonderen im Kernstück des Buches, das mit „die Produktion des Streiks“ betitelt ist, aber durchaus auch „Anatomie eines Streiks“ heißen könnte, und zu großen Teilen aus verdichteten Interviews mit Streikenden besteht, werden Arbeitsinhalte und –organisation sowie die untergründigen Bewegungen und Vernetzungen, die später zum Streikausbruch führen, detailliert, ja nahezu mikroskopisch genau, beschrieben.

Auch wenn die HerausgeberInnen die lange Dauer des Streiks nicht als Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche einschätzen, da nicht genügend Druck auf die Geschäftsleitung entwickelt werden konnte, entsteht durch die vielen gemeinsamen Debatten in dieser langen Zeitspanne eine dynamische Prozesshaftigkeit, die im Buch – vor allem, aber nicht nur, durch die ausführliche Darstellung der Situation vor dem Streik (die permanente Verschlimmerung der Lebenssituation und das aktive Mitwirken der später Streikenden daran) – anschaulich nachgezeichnet wird. Denn auch wenn das offizielle Streikziel 4,5 Prozent Lohnerhöhung war, ging es doch von Anfang an auch um die Menschenwürde der Arbeitenden/Streikenden.

Von außen ist schwer zu verstehen, was in einem Streik wirklich passiert. Hinter der formalen Organisation des Streiks durch die Gewerkschaft kann eine unsichtbare informelle Organisation stehen, und die Darstellung des Streiks nach außen muss nicht unbedingt der tatsächlichen inneren Dynamik entsprechen. Was ist die Motivation der Beteiligten? Geht es um das offizielle Streikziel, oder haben die Streikenden andere Gründe? Wie erleben sie diese Zeit der Nicht-Arbeit? In welchem Verhältnis steht der Streik zu den vorherigen alltäglichen Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz?

HerausgeberInnen (S 91)

Vor dem Streik

Gate Gourmet ist ein europaweit operierendes Unternehmen, das im Dezember 2002 von der insolventen Swissair an die Texas Pacific Group (im Folgenden TPG) verkauft wurde. TGP ist eine Private-Equity-Firma, die marode Unternehmen aufkauft und nach drastischen Reorganisationsmaßnahmen zu einem weit höheren Preis weiterverkauft, wobei dem Käufer zukünftig höhere Gewinne in Aussicht gestellt werden.

Um nach Möglichkeiten der Arbeitsintensivierung und Kostenersparnis zu suchen, wurden noch während der Übernahme McKinsey und andere Beraterfirmen in die verschiedenen Gate-Gourmet-Filialen geschickt. Von Anfang an wurden die ArbeiterInnen, im Besonderen die untere Führungsstruktur, in die Analyse und Rationalisierung der Arbeitsabläufe einbezogen. Sie wurden von den McKinsey-BeraterInnen dahin geführt, mögliche Einsparungen in der Arbeitszeit selbst zu erkennen und wichtig zu finden. Einige Verbesserungen machten durchaus Sinn und halfen sogar, die Arbeit zu erleichtern. Nur: nach dem Analyse- und Verbesserungsprozess wurden die einzelnen Arbeitsschritte genauestens mit der Stoppuhr festgelegt und danach als verbindlicher Planwert vorgeschrieben. Es wurde der Begriff waste time definiert, die es unbedingt zu vermeiden galt, wobei als waste time bereits eine ½ Minute Zeitverzögerung oder ein paar nicht unbedingt notwendige Schritte gelten. Zeiten wurden von den ArbeiterInnen geschönt, was ihnen nachher auf den Kopf fiel – die Konsequenzen waren vielen nicht klar. Die Konkurrenz nahm zu, KollegInnen wurden bei der Abteilungs- oder Betriebsführung denunziert.

Wir waren eine dermaßen zerstrittene Belegschaft. Deshalb hat das auch so lang gedauert, bis es zu dem Streik gekommen ist. Wir waren immer schon zerstritten, aber wo das los ging mit den Zeiten, da ist es noch krasser geworden. Weil du so rennen musstest, und wenn du beim Frühdienst 6 Maschinen hattest, dann ist dir jeder im Weg herumgerannt. Jeder kam mit seinem Wägelchen angefahren: „Geh mal weg, ich muss mich beeilen!“ Dadurch dass du deine eigene Arbeit komplett alleine fertig gemacht hast, musstest du natürlich sehen, dass du die Zeiten irgendwie einhältst. Wenn du jemand so unter Zeitdruck setzt, dann ist jedes kleine Bisschen, das dich aus diesem Rhythmus rausbringt, dein Feind. Und so sind auch die Mitarbeiter immer mehr aneinander geraten.

streikender LKW-Fahrer (Seite 132)

Die größten Auswirkungen hatte jedoch die totale Arbeitszeitflexibilisierung. Es wurden so genannte Poolschichten eingeführt, die zur Folge hatten, dass die ArbeiterInnen bei Schichtbeginn noch nicht wussten, ob sie 5, 8 oder 10 Stunden zu arbeiten hatten. Das führte u. a. dazu, dass Kinder vorm Kindergarten standen und nicht abgeholt wurden.

Die Hälfte der ArbeiterInnen bei Gate Gourmet Düsseldorf stammt nicht aus Deutschland, davon ca. die Hälfte aus der Türkei, der Rest aus allen Ecken der Welt. In den Interviews kommen 13 KollegInnen, davon 3 Frauen, zu Wort. Die HerausgeberInnen selbst stellen fest, dass die Frauen, die ungefähr ein Drittel der Belegschaft ausmachen, verhältnismäßig zu kurz kommen, und bemerken dazu: „Gerade die Frauen berichten aber, wie sie sich im alltäglichen Produktionsprozess teilweise erfolgreich und kollektiv gegen das Management zur Wehr setzen konnten. Das Problem, dass über Interviews diejenigen stärker in Erscheinung treten, die sich besser und selbstbewusster artikulieren können, haben wir nicht wirklich lösen können – obwohl wir aus unseren Fabrikerfahrungen nur zu gut wissen, wie sehr Reden und Handeln auseinander fallen können.“ (Seite 96)

Das Fließband in der Produktion, in der hauptsächlich Frauen arbeiten, sollte abgeschafft und durch bestens einsehbare und kontrollierbare Einzelarbeitsplätze, so genannte Workstations, ersetzt werden. Jeder Handgriff und jeder Schritt wurde genauestens vorgegeben, sodass jeder Fehler individuell zugeordnet werden kann. Den Arbeiterinnen war klar, dass die Abschaffung des Fließbands keine „Humanisierung“ ihrer Arbeit bedeutet, sie verteidigten ihre kollektive Arbeitssituation in einem zähen Kleinkrieg – sechsmal wurde das Band rausgeschafft und wieder reingeholt.

Durch die Arbeitshetze stieg die Unfallgefahr beim Be- und Entladen der Flugzeuge erheblich ... und die Zahl der Krankenstände. Die Geschäftsleitung versuchte die KollegInnen gegeneinander, gegen die Kranken, aufzuhetzen. Im Laufe der Zeit allerdings mit immer weniger Erfolg.

Ya Basta!!!

Auch wenn der Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf defensiv war, so ging es nicht um den Erhalt des Arbeitsplatzes, sondern gegen zu viel Arbeit und die täglich steigenden Zumutungen. Die KollegInnen legten den Horror der Arbeit offen, sagten STOP! und ließen sich nicht mehr mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes erpressen.

... und immer wieder taucht die Frage auf, wie wir am besten die Angst verlieren können. Wir erzählen das so: Angst hilft uns nicht mehr, das ist schon lange vorbei. Wie lange soll ich Angst haben um meinen Arbeitsplatz? Wenn ich gesundheitlich pleite bin und familiär, wenn ich sozial ausgegrenzt bin ... was nützt mir da mein Arbeitsplatz. Wir leben seit so vielen Jahren in diesem asozialen Zustand. Wir haben kein Vereinsleben mehr, wir haben kein vernünftiges Familienleben mehr, wir haben überhaupt keine Bekannten mehr. Durch diese verschiedenen Schichten erleben wir das soziale Abseits. Das ist das Problem, warum die Leute gesagt haben: Noch mehr ist nicht drin. Wir haben sämtliche Grenzen schon lange überschritten.

streikender Betriebsrat (Seite 136/137)

Der Streik war jedoch nicht „spontan“, er wäre nicht möglich gewesen ohne ein kurz zuvor durchgesetztes kämpferisches Betriebsratsmitglied sowie ein vom Betriebsrat unabhängiges informelles Netzwerk von vertrauenswürdigen KollegInnen – das von den Streikenden selbst so genannte U-Boot –, aus dem sich dann auch die informelle Streikleitung zusammensetzte. Der Streik wurde lange vorbereitet, die Stimmung unter den KollegInnen ausgelotet (im Buch Pulsmessungen genannt). Anfang September 2006 wird ein unangekündigter Warnstreik durchgeführt, dessen Vorbereitung nur einem Betriebsratsmitglied bekannt ist und der zur Folge hat, dass 7 LTU-Flüge ohne Catering abheben. Die Zusammensetzung des U-Bootes liegt aus Sorgsamkeitsgründen etwas im Dunklen, es lässt sich aber so viel herauslesen, dass es sich dabei nicht um eine Betriebszelle mit einer einheitlichen politischen Linie handelte. Während des eigentlichen 6-monatigen Streiks nimmt die informelle Streikleitung der Gewerkschaft die Pressearbeit aus der Hand, beeinflusst die Zusammensetzung der Tarifkommission und hat ein Auge auf Stimmungstiefs, die im Laufe eines der längsten und kältesten Winter, die Deutschland je gesehen hat, im Streikzelt häufig auftauchen.

Trotz dieser Vorbereitungen gelingt es nicht, das Unternehmen still zu legen. Ab dem ersten Streiktag werden StreikbrecherInnen eingesetzt, zum Teil ArbeiterInnen von anderen Gate-Gourmet-Standorten, zum Teil LeiharbeiterInnen. Blockaden der Ausfahrt der LKW zum Flugfeld finden statt, werden aber von der Gewerkschaft aus rechtlichen Haftungsgründen abgewürgt. Die letzte Blockade mit Gewerkschaftsunterstützung findet am 18. November statt, dem 140. Gründungsjubiläum der NGG (Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten, zweitkleinste Einzelgewerkschaft im DGB). Ein LKW-Fahrer fährt in die Menge, als Reaktion darauf sprüht weibliche kreative Militanz: streikende Frauen schmieren Speiseeis und Butter, die die Streikenden als Spende erhalten hatten, auf die Windschutzscheibe. Im Nachhinein gesehen wurde zu spät überlegt, an welchen konkreten Punkten des Arbeitsablaufes die Produktion effektiv lahm gelegt hätte werden können. Dieser Vorwurf wird von ArbeiterInnen im Buch auch an die Gewerkschaft formuliert, die dies aufgrund ihrer größeren Erfahrung vorher bedenken hätte müssen. Ferner wurde der Streik zu Beginn der Wintersaison ausgerufen, was den Streikenden aufgrund der viel geringeren Flugdichte weniger Druckmittel in die Hand gab, als dies während der Sommersaison der Fall gewesen wäre. Versuche, den Streik auf Gate-Gourmet-Niederlassungen in anderen deutschen Städten bzw. auf andere am Flughafen Düsseldorf ansässige Unternehmen auszudehnen, scheitern.

Der Umgang der Streikenden mit der Gewerkschaft lässt sich nahezu als Lehrstück lesen. In den sechs langen Monaten des Streiks breitet sich ein Gefühl der Ohnmacht im Streikzelt aus – Enttäuschung darüber, dass die Gewerkschaft nichts gegen den Streikbruch unternimmt. So manche Aktionsidee wird nicht verwirklicht, niemand will einen Bruch mit der Gewerkschaft riskieren, denn das Streikgeld und die Infrastruktur der Gewerkschaft sind unverzichtbar, auch wenn beim Streikgeld die ungleichen Löhne reproduziert werden, da sich die Höhe nach Ausgangslohn und Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit bemisst (zumindest sind alle Streikenden weiterhin sozialversichert). Zu Streikbeginn hatte die Belegschaft große Erwartungen in die Gewerkschaft. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass sich die NGG keinerlei Druckmittel gegen die Geschäftsführung überlegt hatte. Bereits nach drei Wochen begannen die Versuche der NGG, den Streik ergebnislos abzubrechen, und einen flexiblen bzw. rollierenden Streik zu initiieren. Offensichtlich wollte die Gewerkschaftsführung nur noch irgendwie aus dieser Auseinandersetzung wieder herauskommen. Das wurde von den Streikenden verhindert, nachdem sie sich mit KollegInnen und GewerkschafterInnen aus anderen Betrieben darüber besprochen hatten. Der Konflikt zwischen Belegschaft und Gewerkschaft wurde dennoch nicht an die große Glocke gehängt, sondern nur punktuell in die Öffentlichkeit getragen, um Druck auf die NGG auszuüben. Unter den Streikenden kursierten schon härtere Ideen zur Blockade der LKW-Ausfahrt, die jedoch nicht ausgeführt wurden, denn „die Beendigung eines Arbeitskampfes beschließt der Geschäftsführende Hauptvorstand ... Sie soll auch entgegen der Ansicht der am Arbeitskampf beteiligten Gruppen erfolgen, wenn nach den Umständen die Weiterführung des Kampfes zwecklos geworden ist oder sich für die NGG als schädigend auswirken kann.“ § 20 der NGG-Satzung (Seite 158) Legal ist ein Streik nur, wenn er auf ein tariflich regelbares Ziel hinausläuft und von einer Gewerkschaft getragen wird. Später sprangen hier die UnterstützerInnengruppen in Rücksprache mit den Streikenden ein.

Die Blockade zum 100. Streiktag war die größte Unterstützungsaktion. Mehrere LKW-Ausfahrten werden von 40 bis 50 UnterstützerInnen blockiert, 9 beladene LKW sitzen fest. Die Polizei verkündet mehrmals erfolglos die Auflösung der Blockaden. LKW brechen aus, die Lücke wird von DemonstrantInnen wieder geschlossen, bevor die Blockaden dann endgültig von der Polizei aufgelöst werden. Die Blockaden zum 100. Streiktag waren insofern effektiv, als sie zu Verspätungen von mehreren LTU-Langstrecken-Flügen führten. Die Streikenden freuten sich … den hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären war es eindeutig zu viel. Sie hatten Angst vor einer unkontrollierbaren Situation und warnten die Streikenden davor, sich von linken Gruppen missbrauchen zu lassen. Erfreulicherweise gelang es ihnen bis zuletzt nicht, einen Keil zwischen die Streikenden und die UnterstützerInnen zu treiben. Die NGG tat auch nichts zur Vernetzung mit weiteren Gate-Gourmet-Niederlassungen bzw. mit anderen sich gerade im Streik befindlichen Betrieben. Ganz im Gegenteil sabotiert sie Kommunikationsversuche der Streikenden mit KollegInnen von Gate Gourmet Heathrow (den wilden Streiks in London-Heathrow im August 2005 ist im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet) und Gate Gourmet Frankfurt – dennoch finden Austauschbesuche statt.

Anfang Dezember kristallisiert sich ein Kompromiss heraus, der keiner ist, da der Abschluss unter den Ausgangsbedingungen liegt. Die Mehrheit der Belegschaft stimmt dennoch zähneknirschend zu, da sie froh wäre, den Streik nach 2 Monaten beenden zu können. Dann jedoch zieht die Geschäftsleitung den faulen Kompromiss zurück. Später stellt sich auch noch heraus, dass es gar keinen gültigen Manteltarifvertrag (Regelung von Arbeitszeiten, Urlaub, Eingruppierungen usw.; im Unterschied zum Entgelttarifvertrag, in dem Löhne geregelt werden) gibt, da die Geschäftsleitung den letzten nie unterschrieben hat. Anfang Januar fordert die Geschäftsleitung weitere Einsparungen an Lohnkosten – je länger der Streik dauert, desto mehr Forderungen stellt Gate Gourmet an die ArbeiterInnen. Ratlosigkeit macht sich breit – der Streik wird fortgesetzt, denn mit einem schlechteren Verhandlungsergebnis als zu Beginn will niemand abbrechen.

Anfang März werden während des laufenden Streiks Betriebsratswahlen abgehalten. Die Streikenden treten mit zwei Listen an: die der Streikenden selbst, die „Menschenwürde“ heißt, und einer Extraliste, die aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung für LeiharbeiterInnen attraktiv sein soll. Die Gegenseite tritt mit drei Listen an. Die Streikenden erringen mit fünf von sieben Sitzen eine klare Mehrheit im Betriebsrat. Ende März und Anfang April kommt es zu weiteren Verhandlungen mit der Gegenseite.

Das Ende des Streiks und nach dem Streik

Am 6. April findet die entscheidende Streikversammlung statt, bei der das ausgehandelte Ergebnis präsentiert wird. Die ArbeiterInnen erhalten einen neuen Manteltarifvertrag, können die im Laufe des Streiks von Gate Gourmet verlangte 10%ige LOHNKÜRZUNG auf 7% reduzieren und noch einige Kleinigkeiten retten. Das Motto „Kein Sieg, aber auch keine Niederlage“ hat einen bitteren Beigeschmack. Es gibt hitzige Diskussionen darüber, ob es sinnvoll ist, weiter zu streiken, ob mehr erreichbar ist, ob der Streik überhaupt weiter aufrecht erhalten werden kann. Am nächsten Morgen wird nach sechs Monaten Streik in der Urabstimmung mit 61%iger Mehrheit das Streik-Ende beschlossen.

Schon während des Streiks herrschte Angst vor der Rückkehr in den Betrieb nach Streik-Ende – Angst davor, dass der Zusammenhalt verloren gehen könnte, dass die isolierten und isolierenden Arbeitssituationen sich durchsetzen. Frau/man machte sich gegenseitig Mut, eine kollektive Kampfperspektive über den Streik hinaus fehlte jedoch. 20 der am Streik aktiv Beteiligten verlassen den Betrieb mit einer Abfindung. Einige sagen, sie könnten nicht wieder reingehen, alleine der Gedanke daran sei ihnen unerträglich, denn der aufrechte Gang, der während des Streiks so zentral gewesen war, wäre im Betrieb nicht aufrechtzuerhalten. Doch auch die ChefInnen und die StreikbrecherInnen haben Angst vor der Rückkehr der Ex-Streikenden. Die Ex-Streikenden kehren in einen völlig neu zusammengesetzten Betrieb zurück – LeiharbeiterInnen werden benutzt, um sie zu trennen, und ein Betriebspsychologe eingestellt. Die deutlichste Veränderung nach dem Streik ist die hohe Anzahl von LeiharbeiterInnen. Einige Konflikte zwischen festangestellten Ex-StreikerInnen und prekären Ex-StreikbrecherInnen drohen fast handgreiflich zu werden. Bald wird die Rationalisierungsschraube wieder angezogen. Die Kooperation zwischen Festangestellten und LeiharbeiterInnen funktioniert nicht – weder für die Firma noch für einen gemeinsamen Kampf gegen die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen –, der Hass auf die Streikbrecherrolle sitzt tief. Teile des Betriebsrats versuchen jedoch auf die LeiharbeiterInnen zuzugehen und verteilen mehrsprachige Merkblätter, auf denen den LeiharbeiterInnen ihre wenigen Rechte mitgeteilt werden, die ihnen meist nicht bekannt sind. Während der Sommermonate 2006 häufen sich die Delays, die Geschäftsleitung spricht von Sabotage. Kleine Zettel tauchen auf, auf denen gleicher Lohn und bessere Arbeitsbedingungen für LeiharbeiterInnen gefordert werden. Wie es weiter geht, bleibt offen.

Stellt sich die Frage, was der Streik nun eigentlich gebracht hat, die von den HerausgeberInnen im allerletzten Absatz des Buches so beantwortet wird: „In den Kämpfen entdecken Menschen neue Orte und neue Dimensionen ihrer Gesellschaftlichkeit, die jenseits von Gelderwerb und Arbeitsfleiß liegen. Eine neue Welt wird nicht vom Himmel fallen und kein Staat wird sie uns schaffen können. Wir werden sie nur selber produzieren können, indem wir endlich unsere Menschlichkeit selber herstellen. Selbst in einem so kleinen Streik wie bei Gate Gourmet haben die KollegInnen es einfach genossen, den Chefs, die sie täglich drangsalierten, ein schlichtes „Nein“ zu sagen. Das ist noch keine neue Welt, aber diese Selbstbehauptung und dieses Ringen um Autonomie ist die einzige Substanz, aus der sie entstehen könnte.“ (Seite 251)

„UnterstützerInnenkreis wird zur 3. tragenden Säule des Streiks“

Diese Aussage stammt nicht von den HerausgeberInnen, sondern von einem streikenden Kollegen von Gate Gourmet Düsseldorf, dessen Streiktagebuch über 60 Seiten des Buches einnimmt. Abgesehen von der direkten Blockade der LKW-Ausfahrten liegt die Funktion der UnterstützerInnen in der Herstellung von Öffentlichkeit für den Streik und in der Unterstützung der Vernetzungsversuche, z. B. mit Arbeiterinnen bei Gate Gourmet Heathrow, die ebenfalls einen Arbeitskampf führen.

Die meisten Streikenden waren am Anfang ziemlich unpolitisch. Wir haben erstmal erlebt, wie die Gewerkschaft mit dem Streik umgeht, was die Gewerkschaft für Meinungen hat. Wir haben festgestellt, dass die Gewerkschaft irgendwie auch ziemlich gegängelt ist, selber gängelt oder gegängelt wird, und sehr bürokratisiert ist. Wir haben dann erlebt, wie die Unterstützer reinkamen, im November und Dezember, dass sich die Sachen verändert haben, gerade was die Auffassung vom Streik betrifft. Der Horizont wurde erweitert, es kam mehr so ein Klassenkampfbewusstsein rein, was vorher nicht so war. Das war vorher eine ziemlich geschlossene Gruppe, die nur für ihr eigenes Ding gekämpft hat in diesem Arbeitskampf, um die Lohnerhöhung und um bessere Arbeitsbedingungen. Durch die Unterstützerkreise wurde das auf jeden Fall mehr politisiert, ziemlich kräftig sogar. Es wurde mehr nach außen getragen, und die Streikenden haben dadurch auch viel mehr Verbindung nach außen bekommen, die sie vorher nicht gehabt haben ...

streikender Büroarbeiter (Seite 166)

Der UnterstützerInnenkreis war kein Bündnis zwischen linken Organisationen, sondern ein heterogener loser Zusammenschluss von Einzelpersonen, wenn auch einige davon politischen Organisationen angehörten – wobei es gelang, ein breiteres linkes Spektrum zusammen zu bekommen. Die Mobilisierung lief sehr persönlich: wer mal am Streikzelt war, nahm das nächste Mal jemanden anderen mit. In gewisser Weise haben die Streikenden dafür gesorgt, dass sich die Linke neu zusammengesetzt hat. Für die Unterstützung des Streiks waren meist nicht ideologische, sondern persönliche Motive ausschlaggebend. Es handelte sich nicht um eine Intervention, es ging nicht um die richtige Linie, sondern um an den Bedürfnissen der Streikenden orientierte Unterstützung. Doch auch Parallelen zur eigenen Situation waren motivierend, denn wie einer der UnterstützerInnen anmerkt, sind die Gate-Gourmet-ArbeiterInnen ähnlich wie die Hartz-IV-BezieherInnen dem Zwang zur Selbstinstrumentalisierung unterworfen. Unter den UnterstützerInnen gab es viel Begeisterung und manchmal auch Überforderung durch die soziale Dynamik. Es wird selbstkritisch angemerkt, dass die UnterstützerInnen manchmal in ihrer eigenen Dynamik gefangen waren. Für die Beschäftigung mit Streikbruch durch Leiharbeit reichte die Kraft nicht aus. Ferner wird das Problem aufgeworfen, dass lange Kämpfe zeitintensiv sind, sodass Menschen, die viel lohnarbeiten, sich in einem weit geringeren Maße daran beteiligen können. Die Heterogenität der UnterstützerInnen kommt in ihren doch recht unterschiedlichen Ausgangspositionen zu Streiks im Allgemeinen sehr gut zum Ausdruck.

Ich fand das am Anfang ein bisschen verdächtig: Schon wieder Arbeiterkampf, schon wieder Hauptwiderspruch ... aber aus dem, was die Leute erzählt haben – das waren sehr verschiedene Leute – habe ich dann andere Sachen rausgehört. Da waren durchaus feministische Fragestellungen, da waren antirassistische Fragestellungen (...) Was die Leute machen, sowohl die UnterstützerInnen als auch die Leute vor Ort, wie ich am letzten Tag konkreter erfahren habe können, ist was sehr Eigenes, was sehr Vielfältiges und was unglaublich Selbstbewusstes, was auch jenseits von Organisation mit Subjekten, mit Subjektivierung und Erfahrungen zu tun hat, die ansonsten sehr wenig thematisiert wurden. Es war etwas sehr Offenes, das war mein Eindruck.

distanzierte und beobachtende Unterstützerin (Seite 232)

Ich bin der Meinung, dass umfassend versucht wird, den Wert der Ware Arbeitskraft in dieser Gesellschaft zu senken. Von daher habe ich nicht gedacht, wie ihr das mehrfach geäußert habt, dass das eine Frage von ,Lohnkampf oder nicht’ ist, sondern es ist eine Abwehr gegen diese Angriffe. Wir müssen uns klarmachen: Wenn der Lohn unter einen bestimmten Level gedrückt wird, bist du dem Zugriff im Betrieb völlig ausgesetzt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Lohnhöhe und dem Druck auf deine physische aber auch deine gedankliche Position. Das hängt zusammen, das darf man nicht trennen. Nach meiner Erfahrung steckt in jedem Streik, und wenn er noch so kurz dauert, das Moment, dass diese Gesellschaft anders sein kann.

Unterstützer/Metallarbeiter (Seite 235/236)

Theoretische Teile sind sparsam eingesetzt, das theoretisch-politische Gerüst der HerausgeberInnen schimmert dennoch auch in den praktischen Teilen durch. Die AutorInnen verhehlen nicht, dass sie der Meinung sind, dass die Machtfrage im Produktionsprozess gestellt wird, da die Produktion jener Ort ist, an dem das Kapital und die gesellschaftlichen Verhältnisse produziert und reproduziert werden. Sie schreiben an gegen Vorstellungen von einer schönen neuen Dienstleistungsgesellschaft und vertreten die Position, dass die Rationalisierungen und Umstrukturierungen bei Gate Gourmet knallharter Taylorismus waren und die täglich dort verrichtete Arbeit nichts von Arbeit als Wissen, das bei Konsum nicht verzehrt, sondern vermehrt wird, an sich hat. Gegen Ende des Buches werfen sie die Frage auf, warum Kämpfe immer dann abgebrochen werden, wenn sie zu wirken beginnen.

Frau/man muss nicht der Meinung sein, dass Fabriken DER zentrale Ort sind, es reicht, Fabriken als EINEN DER zentralen Orte der gesellschaftlichen Produktion und Auseinandersetzung zu betrachten, um von der Lektüre des Buches gefesselt zu sein.

Literatur

  • Flying Pickets (Hrsg.): Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet ... auf den Geschmack gekommen, Berlin, Hamburg: Assoziation A 2007
  • Stéphane Beaud, Michel Pialoux: Die verlorene Zukunft der Arbeiter. Die Peugeot-Werke von Sochaux-Montbéliard, Konstanz: UVK 2004
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