Grundrisse, Nummer 51
September
2014
Susann Witt-Stahl, Michael Sommer (Hg.):

„Antifa heißt Luftangriff“

Regression einer revolutionären Bewegung

Hamburg: Laika-Verlag, 2014, 212 Seiten, Euro 21,—

Nein, erfreulich und aufmunternd ist die Thematik nicht, die die HerausgeberInnen mit diesem Sammelband dokumentieren. Es geht, wie der Untertitel ja informiert, um Entwicklungstendenzen im antifaschistischen Milieu, die letztlich zu antilinken Positionen und zum Schulterschluss mit neoliberalen und imperialistischen Mächten geführt haben. Der Titel, Antifa heißt Luftangriff, ist ein Zitat. Wenn also hochgerüstete Staaten ihre Bombenflugzeuge einsetzen um Angst, Tod und Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, dann ist dies Antifaschismus. Wie solche Haltungen Gestalt annehmen konnten, woher sie ihre Motivationen beziehen und mit welchen rhetorischen Figuren sie arbeiten, darüber informiert dieses Buch mit lesenswerten Beiträgen. Zweifellos ist die Gruppe jener PublizistInnen, die jahrein, jahraus als SchreibtischtäterInnen gegen die islamische Welt im Allgemeinen und gegen die PalästinenserInnen im Besonderen ideologisch in den Krieg ziehen, eher klein. Auch jene, die in jeder gesellschaftskritischen und antikapitalistischen Initiative, sei in der Blockupy-Bewegung oder im Versuch, gegen die Zumutungen von Hartz IV Widerstand zu leisten, die „Schlageter [1]-Wende der bundesdeutschen Linken nach 1989“ (51) zu erkennen glauben, stellen ein überschaubares Grüppchen dar. Aber, und alleine dieser Umstand zeigt die Dringlichkeit dieses Buches, ihr Einfluss geht weit über ihr unmittelbares Milieu hinaus. Die AutorInnen nennen klar die Daten und Fakten. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Partei Die Linke, diverse autonome Zentren, die TAZ, – in all diesen Strukturen besitzt diese Strömung Einfluss. Darüber hinaus werden ihre ProtagonistInnen von bürgerlichen Zeitungen und diversen Think Thanks mit offenen Armen aufgenommen. In Österreich ist eine bescheidene aber doch merkbare Akzeptanz dieser Haltungen, insbesondere in einigen studentischen Vertretungsgremien, zu vermerken. Zu nennen wäre auch der Republikanische Klub, der den Kriegstreibern von Stop the Bomb, die lieber heute als morgen einem militärischen Angriff Israels auf den Iran applaudieren möchten, Veranstaltungen in seinen Räumlichkeiten gestatte. Grund genug also, nicht mehr die Augen vor diesen Entwicklungen zu verschließen sondern ihnen offensiv zu begegnen.

In den ersten zwei Beiträgen werden die ideologischen Grundlagen dieser Entwicklung ausgeleuchtet. Susann Witt-Stahl zeigt überzeugend auf, dass dieses Milieu schon länger auf die Totalitarismusthese eingeschwenkt ist, wie sie unter anderem von Vordenkern des Neoliberalismus, insbesondere von August von Hayek, formuliert wurde. Die Grundthese der Totalitarismuslehre ist simpel: rechte wie linke Strömungen seien letztlich identisch, das Nazi-Regime entspreche dem Stalinismus und umgekehrt. Als emanzipatorischer Dritte fungiert klarerweise der radikale Marktliberalismus. Beide totalitären Strömungen seien durch Kollektivismus zu kennzeichnen, die das Individuum und seine Rechte verschmähten. Der herabgekommene Antifaschismus adaptierte mit Begeisterung diese Thesen. Sowohl der Faschismus als auch linke Bewegungen seien durch einen personalisierten Antikapitalismus gekennzeichnet, der letztlich in Antisemitismus münden müsse, werden wir belehrt. Der Jude stünde für die Schattenseiten des Kapitalismus, die nun unbegriffen und undurchschaut, ihm angelastet würden. Die Totalitarismustheorie lässt sich problemlos in eine Reihe von Entgegensetzungen umsetzen: der redliche Arbeiter gegen das Zinskapital, das Kollektiv gegen den abstrakten Wert, die schwache aber ehrliche Bewegung gegen ungreifbare Mächte. Das Schöne an dieser Liste, alle die dieses simple Prinzip begriffen haben können sich als antifaschistische KritikerInnen entwerfen: Gestern die Nazis gegen das Finanzkapital, heute die Linke gegen soziale Ausgrenzung und Kürzungen im Sozialwesen. Klar muss da der Geschichte ein wenig Gewalt angetan werden. Das Dritte Reich wird als quasi „Sozialstaat“ (37) umgelogen, oder, wie die Autorin mit Bezug auf Karl Hein Roth festhält, die Ideologie und Lügen des Faschismus werden für „bare Münze genommen.“ (36) Die Ergänzung zur Totalitarismusthese ist die sogenannte Extremismusforschung. Extremist ist, wer ein totalitäres System anstrebt. Auch an dieser offiziell geförderten akademischen Forschungsrichtung nascht die verkommene Antifa Bewegung ein wenig mit, wie die Autorin materialreich aufzeigt.

Wie das alles mit Adorno Zitaten und Verweis auf den marxschen Fetischbegriff zusammengeht? Darüber informiert der Beitrag von Michael Sommer über den mehrfach publizierten Artikel von Moishe Postone Nationalsozialismus und Antisemitismus. Mit welcher Dreistigkeit Postone im Brustton der Überzeugung die Marxsche Philosophie von den Füßen auf den Kopf stellt, ist nicht alltäglich. Aus dem Kapitalverhältnis, einer spezifischen Form der Herrschaft des Menschen über den Menschen bei Marx, wird ein abstraktes, anonymes Akkumulationsprinzip; aus dem Verhältnis immanenter und transzendenter Momente der kapitalistischen Vergesellschaftung wird ein immanentes Binnenverhältnis ohne potentiell systemsprengende Momente. Der abstrakte Wert ist alles – alles ist der abstrakte Wert, so lautet letztlich sein Credo. Wie Sommer überzeugend zeigt, setzt Postone an die Stelle der inneren Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise die formale Entgegensetzung zweier Kapitalseiten: das Konkrete und das Abstrakte, die doch letztlich nur zwei Seiten des Selben darstellen würden. Klassenkampf? Bestenfalls ein belangloses und bedeutungsloses Binnenverhältnis des Kapitals. In Wirklichkeit aber bloß der ohnmächtige Versuch, eine Kapitalseite gegen die andere ausspielen zu wollen. Herrschaft des Menschen über den Menschen – weit gefehlt! In der Theorie Postones ist die kapitalistische Herrschaft „ein System von Herrschaft und Zwängen, das – obwohl gesellschaftlich – unpersönlich, sachlich und ‚objektiv’ ist und deshalb natürlich zu sein scheint.“ [2] Wenn an die Stelle der Herrschaft des Menschen über den Menschen bloß sachliche und persönliche Zwänge treten, dann muss die Kritik an bestimmen Klassen oder gar bestimmten Individuen unabdingbar eine verkürzte, von Fetischvorstellungen geprägte Haltung darstellen. Wie Postone und seiner Jünger mit den dutzenden, ja hunderten Passagen bei Marx umgehen, in denen er Kritik ad personam formuliert, das bleibt wohl deren Geheimnis. Die Dimension des abstrakten Werts wird, so Sommer, von Postone derart ausgedehnt, sodass „was nicht auf Anhieb zu durchschauen, wohl Formen des Werts sein müssen.“ (72) Letztlich läuft alles bei Postone auf einen simplen Monismus des abstrakten Werts hinaus. Dass die konkrete Arbeit letztlich als ablösbar vom Kapitalverhältnis aufgefasst wird, oder allgemeiner formuliert, dass die Dimension des Gebrauchswerts unabhängig von Tauschwert betrachtet werden kann (wie Marx dies permanent tut), wird von Postone als Fetischismus bezeichnet. Folgende Aussage könnte als typisches Beispiel für den Versuch gelten, befangen in fetischisierten Vorstellungen die gute, konkrete Seite gegen die üble, abstrakte auszuspielen: „Die Maschinerie verliert ihren Gebrauchswert nicht, sobald sie aufhörte, Kapital zu sein. Daraus, dass die Maschinerie die entsprechendste Form des Gebrauchswerts des Capital fixe, folgt keineswegs, dass die Subsumtion unter das gesellschaftliche Verhältnis des Kapitals das entsprechendste und beste gesellschaftliche Produktionsverhältnis für die Anwendung der Maschinerie.“ [3]

Postone lieferte die Stichworte, die Szene griff sie dankbar auf. „Zu ‚abstrakt’ werden neben der Börse, Intellektualität und dem Künstlichen auch Müßiggang, Luxus, Ausschweifung, Freizügigkeit und Fleischeslust sortiert. Unter ‚konkret’ ist subsumiert, was der Alltagsverstand eben im Gegensatz zu abstrakt darunter verstehen mag: ‚Nestwärme’, ‚z.B. etwa Holzhacken’, ‚Proletenromantik’ und ‚Altbier’ sind als Synonyme für ‚Nazi’ in den einschlägigen Debatten längst eingebürgert.“ (60, die Worte in einfachen Anführungsstrichen entstammen einschlägigen Publikationen.) Und so läuft die Argumentation à la Postone: Anstatt zu erkennen, dass es kein Andres des abstrakten Werts gibt, dass die greifbaren Aspekte der Wirklichkeit tatsächlich eben nichts anderes sind als eine weitere Form des Werts, glauben plump fühlende Rebellen in der konkreten Dimension die Basis ihres Widerstandes erkennen zu können. Der durch Postone aufgeklärte Antifa Aktivist hingegen weiß; diese peinlichen Verkürzungen können nur im Antisemitismus enden. Zu Recht verweist Sommer auf den Gewinn, den ein Teil der Szene aus diesen theoretischen Konstruktionen zieht: [4] „Für sie ist diese ‚marxistische Antisemitismustheorie’ hoch attraktiv: Mit ihr kann man sich an der Spitze des kritischen Bewusstseins glauben, ohne von Arbeiterklasse oder Klassenkampf reden zu müssen, sondern im Gegenteil, indem man ‚die da unten’ als bloß ‚von Fetischverhältnissen gezeichnet denunziert’.“ (90) Vielleicht hätte es Sommer noch etwas schärfer formulieren müssen, wir müssen nicht nur nicht mehr vom Klassenkampf reden, wir könne es im Grunde gar nicht, da Klassenherrschaft bei Postone als geschichtsmächtige nicht existiert: „Die Kapitalform gesellschaftlicher Verhältnisse hat einen blinden, prozessualen, quasi-organischen Charakter.“ [5] Also liegt die Schlussfolgerung nahe, wer rebelliert ist quasi ein Nazi. Mit dieser Sichtweise lässt sich durchaus Staat machen.

Der Beitrag von Matthias Rude trägt den bezeichnenden Titel: Nie wieder Faschismus – immer wieder Krieg. Klarerweise ist diese Überschrift eine Anspielung auf das ursprüngliche Credo: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Akribisch zeichnet der Autor jene Prozesse nach, die ein Teil der Antifa-Bewegung von KriegsgegnerInnen zu KriegsbefürworterInnen umcodierte. Als erste Station wird der zweite Golfkrieg von 1991 genannt. Um dem Wiedergänger Hitlers, so eine Bezeichnung der BILD Zeitung für Saddam Hussein die auch in der Antifa für Furore sorgte, in den Arm zu fallen, sei eben Krieg nötig. Eine verzerrte Sichtweise des II. Weltkriegs, so der Autor, wurde quasi zum Vorbild erkoren. „Der antisemitische Faschismus wird zur antikapitalistischen Massenbewegung umgedeutet, dem nur mit imperialistischem Krieg beizukommen sei.“ (106) Zugleich werden die Interventionen der Alliierten, ungeachtet ihrer tatsächlichen Motive und Aktionen, zum genuin antifaschistischen Kampf hochstilisiert. Der nächste Akt vollzieht sich 1998/99 im Krieg um das Kosovo. Erneut erscheint ein Wiedergänger Hitlers auf der Weltbühne, dieses Mal nennt er sich Milošević. 2011 hingegen lautet sein Name, unter anderem in der Diktion des Grünen Spitzenpolitikers Cem Özdemir, Muammar al Gaddafi. Es bedurfte bloß einer weiteren Verallgemeinerung und die bellizitische (kriegsbejahende) Ausrichtung war auf Schiene: „Israel oder das Judentum und die USA werden in solchen Kreisen inzwischen derart gleichgesetzt, dass auch hinter der Kritik an den US-geführten westlichen Kriegen Antisemitismus vermutet wird.“ (111) Akribisch zeigt der Autor nach, wie auf Basis dieser Orientierung es zu inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen ehemals linken, neoliberalen und rechten Gruppierungen kommt. Insbesondere in Kriegsfragen formulieren einzelne Personen aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Achse des Guten (Henryk M. Broders Interventionstruppe), Stop the Bomb, AutorInnen der Zeitschriften Phase 2, Jungle World, Bahamas, konkret, sowie SchreiberInnen diverser Internetblogs Auffassungen, die ebenso in neoliberalen Mainstream Medien zu finden sind. Wobei es nicht selten zu Überschneidungen kommt, AutorInnen, die gestern in kleinen linken Publikationen schrieben, schreiben heute in saturierten Großmedien. Einer Karriere abträglich ist Bellizismus im Gewande des Antifaschismus keineswegs.

Die Beiträge von Jürgen Lloyd und Eberhard Schultz beschäftigen sich mit der Frage, wie denn der Faschismus zu begreifen sei. Jürgen Lloyd greift vor allem auf die Theorie des Monopolkapitals zurück, die mich nicht unbedingt überzeugt. Interessanter fand ich den Beitrag von Schultz, der vor allem vor dem „freundlichen Faschismus“ (139) warnt, also einem Faschismus, der nicht auf gewaltbereiten Schlägertrupps basiert, sondern sich im „autoritären Sicherheitsstaat“ (151) verkörpert, der mit modernsten Überwachungsmethoden arbeitet und allgemeine Bürgerrechte massiv einschränkt. Insbesondere weist er darauf hin, dass der repressive Sicherheitsstaat „einzelne Personen und Gruppen … ausdrücklich außerhalb der Rechtsordnung“ (145) stellt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das Buch Terrorlisten [6] des leider inzwischen verstorbenen Autors Victor Kochers verweisen, dessen Werk die Thesen von Eberhard Schultz punktgenau bestätigen.

Maciej Zurowski diskutiert in seinem Beitrag Das Märchen vom kleineren Übel historische und aktuelle Strategien, den Faschismus und Rechtsradikalismus zu bekämpfen. Ausgehend von den Erfahrungen in England plädiert er mit überzeugenden Argumenten gegen den Versuch, immer und überall möglichst breite Bündnisse zu schließen. Auch die aktuellen Formen der Volksfrontstrategie würden sich letztlich konterproduktiv erweisen. „Materialistisch betrachtet entbehrt der Gegensatz, den Antifaschisten zwischen Parteien wie der BNP oder der Front National auf der einen und ‚legitimen’ Establishment-Parteien auf der anderen Seite herstellen, jeder logischen Grundlage.“ (160) Antikapitalistische Kritik und Kampf gegen die Nazis treten auseinander: „Die Revolution ist quasi bei Bedarf in einer anderen Abteilung erhältlich, während der Antifaschismus im Volksfront-Department zu einer staatstragenden Ideologie degeneriert.“ (162) [7] Tatsächlich zählt offiziell der Antifaschismus zur Staatsdoktrin in Deutschland und Österreich. Hierzulande verknüpft er sich mit einem verlogenen Österreich Patriotismus: Österreich sei das erste Opfer der Aggression Hitlers gewesen, so steht es in den Schulbüchern. Dass militante Abwehrorganisationen gegen faschistische Übergriffe notwendig sind, wird vom Autor nicht bezweifelt. Aber dies könne eine politische Strategie nicht ersetzen. Sehr präzise arbeitet er die Verknüpfung zwischen martialischem Gehabe a la „kein Fußbreit den Faschisten“ und der ungewollten Affirmation kapitalistischer Verhältnisse heraus. Dem „radikal gebärenden Antifa-Ismus“ lege im „Grunde eine Volksfront-Logik wider Willen“ inne. „Dadurch, dass sie ein Symptom zum permanenten Hauptfeind erhebt, verharmlost sie implizit die Ursache.“ (162) Die Vorstellung, das rechte Lager verstehe bloß die Sprache des Baseballschlägers, wird einer ausführlichen Kritik unterzogen. An der „Schlacht der Ideen“ führe letztlich kein Weg vorbei. [8] Zurowski diskutiert eine ideologische Intervention in das rechtsradikale Milieu sehr differenziert am historischen Beispiel der Schlageter Rede von Karl Radek aus 1923. Der Autor schätzt diese Auseinandersetzung als Gratwanderung ein, verweist aber darauf, dass die NSDAP ihren Mitgliedern verbot, an den Debatten mit den Kommunisten teilzunehmen.

Wolf Wetzel bilanziert in seinem Beitrag Die Angst des Antifaschismus vor seiner eigenen Idee die Entwicklung der Antifa Bewegung der letzten Jahrzehnte. Sein Resümee: „Es war schließlich gewaltig an einem ungeschriebenen antifaschistischen Grundsatz gerüttelt worden: Antifaschismus ist nicht mit, sondern nur gegen diesen Staat durchsetzbar.“ (171) Der Staatsapparat würde nicht mehr wie vorher als stiller Dulder oder, je nach Situation, als aktiver Förderer faschistischer Umtriebe erkannt, sondern avancierte zu einem Garant gegen die faschistische Bedrohung. „Solange der Kapitalismus von etwas viel Grausameren bedroht ist, muss man an der Seite kapitalistischer Staaten den Rückfall ins Vormoderne verhindern, die Errungenschaften des Kapitalismus gegen seine barbarischen Feinde retten.“ (172) Auch diese Wendung musste zum Schulterschluss mit neokonservativen und rechtspopulistischen Kräften führen: Dass das aufgeklärte Abendland vom islamischen Fundamentalismus bedroht sein soll, dieser Sichtweise kann nicht nur Stop the Bomb zustimmen, sondern zum Beispiel auch die FPÖ. Dass der Staat aus der antifaschistischen Kritik ausgenommen wurde, erwies sich, so Wolf Wetzel, insbesondere im Falle des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) als fatal. Nicht nur, dass die von ihnen begangenen Morde an MigrantInnen jahrelang als interne Konflikte in diesem Milieu medial dargestellt wurden, ohne Spur eines Beweises versteht sich, zögert die Linke teilweise, entschlossen radikale Aufklärung über die Verwicklungen des deutschen Geheimdienstes zu fordern. Vorstöße in diese Richtung wurden von den Behörden sofort gekontert. Offen wurde von Sprechern der Verfassungsschutzämter die Forderung zurückgewiesen, die Identität ihrer V-Leute offen zu legen. „Dass sie nicht die Verfassung schützen, sondern ihre eigene rechtswidrige Praxis, ist vielfach belegt.“ (179) Ob die Forderung des Autors, nach restloser Offenlegung aller Unterlagen und Akten des Verfassungsschutzes ungehört verhallt? Angesicht der manifesten Regressionstendenzen in der Antifa Bewegung ist dies zu befürchten. Schließlich überwacht der Staatsschutz ja auch islamische Hassprediger, daher darf er bei seiner verdienstvollen Tätigkeit nicht irritiert oder behindert werden …

Der Band wird mit einem Gespräch zwischen Susann Witt-Stahl und Moshe Zuckermann abgerundet, in dem erneut die ideologischen Grundlagen der Rechtsentwicklung von Teilen der Antifa Bewegung ausgeleuchtet werden. Im Epilog beschäftigt sich die Herausgeberin mit bedenkenswerten Tendenzen innerhalb der ukrainischen Rechten und Faschisten, die dem in Antifa Kreisen kolportierten Klischee immer weniger entsprechen. Angesicht der dramatischen Ereignisse in der Ukraine würde erneut klar, dass Faschismus letztlich darauf abzielt, die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft mit allen Mitteln zu sichern. Antisemitismus kann, aber muss nicht im Mittelpunkt stehen. Auch die extreme Rechte ist zu ideologischen Wandlungen fähig. Im Falle der ukrainischen Rechten und Faschisten dominieren insbesondere ein rassistisch motivierter Hass auf RussInnen und bestimmte Adaptionen neoliberaler Motive. Als exemplarisches Beispiel für das Unverständnis bezüglich des Grundcharakters faschistischer Bewegungen zitiert Susann Witt-Stahl die grüne Osteuropasprecherin Marieluise Beck, die allen ernstes behauptete, die ukrainische Partei Swoboda könne keine rechtsextreme Organisation sein, da sie den Beitritt der Ukraine zur EU fordere und zudem drei jüdische Bürger in der Putschregierung säßen. „Ob sie damit allen Ernstes meint, dass Juden keine Faschisten sein können oder Juden sich niemals neben Ultrarechte auf die Regierungsbank setzten würden – das bleibt ihr Geheimnis.“ (208) Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

[1Schlageter war ein durch den I. Weltkrieg geprägter Aktivist der insbesondere gegen die Besetzung des Ruhrgebietes 1923 durch belgisch-französische Truppen agierte. Er wurde deswegen von französischen Behörden zum Tode verurteilt. Nicht nur die NSDAP, auch Karl Radek (KPD) aber auch Heidegger bezogen sich in Reden und Stellungnahmen auf Schlageter. An seiner Person soll sich die weitgehende Übereinstimmung zwischen dem rechten und dem linken politischen Lager bewiesen haben.

[3Zufällig ist es Marx, der in diesem Zitat das Konkrete gegen das Abstrakte ausspielt. (MEW 42; 596)

[4Im Anhang zu seinem Artikel unterhält uns Sommer mit einer Blütenlese aus dem an Postone orientierten Antifa-Lager. Ein Schmankerl will ich nicht vorenthalten: „Wer sich mit der Formel x Ware A = y Ware B nicht nur irgendwie beschäftigen, sondern sie in all ihren Konsequenzen kritisieren möchte, muss sich mit der bewaffneten Selbstverteidigung Israels solidarisch erklären.“ (99) Das geht schnell, was? Vom wem diese Perle stammt, erfährt ihr auf Seite 99 dieses Buches.

[6Kocher, Victor – TERRORLISTEN Die schwarzen Löcher des Völkerrechts, ISBN 978-3-85371-323-5, Promedia Verlag Wien. Terrorlisten werden, so Kocher, ohne rechtliche Grundlage von internationalen Gremien unter US Patronanz erstellt. Wer auf diese Listen kommt, dem werden elementare Rechte entzogen. Es ist kein Rechtsweg vorgesehen, um gegen solche Stigmatisierungen Einspruch zu erheben!

[7Diese Aussage erinnert an die peinliche Haltung französischer MarxistInnen angesichts der Stichwahl zwischen Chirac und Le Pen, ersteren zu unterstützen. Chirac sollte also gewählt werden, allerdings mit einer Kluppe auf der Nase, so war es auf Plakaten abgebildet.

[8Ich kann diese Auffassung ausgehend von der österreichischen Erfahrung nur bestätigen. Seit Jahrzehnten starrt ein Teil der Linken auf die FPÖ wie das Kaninchen auf die Schlange und mobilisiert mit „demokratischen Kräften“ gegen Aktivitäten ihres rechten Randes. Die Kehrseite: Die eigentlichen neoliberalen Angriffe, insbesondere der Versuche des ÖVP Politikers Wolfgang Schüssel ab 2000, analog zur Politik Thatchers die österreichische Gesellschaft unumkehrbar neoliberal umzuwälzen, gerieten so aus dem Blick.

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