Wurzelwerk, Wurzelwerk 11
Mai
1982

Alternativer Zeitungsnieselregen

Oft nur schreiben statt auch handeln

Abgesehen von einigen hie und da in TV oder Kinos aufblinzelnden Filmen, äußerst sporadisch in kleinen Sälen projizierten Videobändern, spielt sicht das alternative Medienspektakel überwiegend in Bücher und Zeitschriften ab.

Noch vor wenigen Jahren freuten sich die Wälder des großen Zeitungssterbens. Dann kam vernebeltes Gemurmel, wurde lauter. Säge und Druckerschwärze herbeigeholt. Abgeholzt. Dafür sprießt ein Üüppiger zarter „Alternativer Blätterwald“. Wer pflegt ihn? Wie anders ist es?

Weniger Einbahn

Zu allererst ins Wanken gerät dabei das alte Bild vom Einbahnmedium Zeitschrift, wo ein paar Leute schreiben, zig- bis hunderttausende dumpf in sich hinein lesen, keiner jemals zurück schreibt. Neue Medien sind wechselseitiger. Diese Tugend ist allerdings bei den meisten mehr eine Not: Die alternative Zeitschriften-Szene ist allein deswegen viel demokratischer, weil es so viele verschiedene Gruppen, Grüppchen gibt, die sie „machen“. Es gibt einfach für viel mehr Menschen Möglichkeit, was zu finden, wo ihr vom Leib geschriebener Frust abgedruckt wird. Mini-Medien-Machen ist aber auch billig: Wer kein Medium findet, kann sich selber eins machen.

Kritische Leserbriefe werden seltener unterdrückt als in etablierten Medien. Wer feststellen will, wie demokratisch die einzelnen Medien wirklich sind, der schreibt einen (ehrlich) kritischen Leserbrief und sieht dann, ob er auch wirklich abgedruckt wird.

Ein Nahezu-Muster-Beispiel für wechselseitige Kommunikation am Zeitschriftensektor ist der Alternativen-Rundbrief — er druckt (nahezu) jeden Beitrag, der kommt. Ja er besteht sogar nur aus solchen. Eine alle paar Monate wechselnde Rumpf-Redaktion sorgt bloß noch für eine leserliche Druckvorlage, organisiert Druck und Versand, auch Finanzen. Ein wenig Senf dazu im „Herausgeber-Brief“. Fertig. Die Auflage schwankt sich zwar erst an die Tausendergrenze heran, dafür ist die prozentuelle Leserbeteiligung sicherlich am Österreichischen Medienzirkus die weitaus höchste. Das Rezept: Jeder weiß einiges, was mindestens ein anderer noch nicht weiß. Der Anfang ist gemacht.

Ablehnung als Boden

Im großen und ganzen befaßt sich der neue Zeitschriften-Wald mit dem Kritisieren, bzw. Theoretisieren. Er verkörpert die in verdammt vielen Belangen berechtigte Ablehnung bestimmter etablierter Erscheinungsformen wie Verkehrschaos, Isolation, Konsumidiotie, Pseudokultur etc. Vor allem die Stadtzeitungen (Grazer Specktrum, Linzer Stattblatt, Innsbrucker Stattzeitung, Rotes Dachl, Wiener Arena-Zeitung, etc.) sind in heftiger Kritik geübt. Dabei entsteht ein wichtiger Nährboden für Auswege, fürs Experimentieren, fürs Verändern. Wenn nicht gar eine zwingende Konsequenz, eines Tages positive Auswege zu praktizieren.

Geschriebenes leben — gelebte Veränderung schreiben

Was will eigentlich eine „Alternative“ Zeitschrift? Das dürfte vielen noch keineswegs klar sein. Will sie überhaupt glücklich machen? Ich glaube, daß es auch diesen „alternativen“ Willen eigentlich gar nicht richtig gibt. Jeder spricht nur für sich selbst.
Am besten er gibts zu, versteckt sich nicht hinter „mans“.

Mehr Wirkung werden die „alternativen“ Medien erst haben, wenn ihre „Macher“ „alternative“ Arbeits- bzw. Lebensformen selber praktizieren. Darum kommen sie nicht herum. Mehr Menschen werden sie (wir) erst gewinnen, wenn sie (wir) selbst „Dächer und Straßen begrünen, Rad fahren, Gemüse pflanzen, niemand unterdrücken, wenn sie (wir) selber menschenverträgliche Formen von Kleinunternehmen gründen, etc. etc. Kritik möglichst sofort in Alternativen umsetzen. Scheiß-Architektur zerfetzen, aber nicht die zittrigen Menschen, die dahinter stehen — oder die darin wohnen. Die lassen sich nämlich bestenfalls herauslocken.

Eigentlich sind zahllose Auswege aus den gräßlichen Zuständen im einzelnen schon verwirklicht. Und nicht allein die Sturheit der Macher bremst die Verbesserungen, auch die Nicht-Informiertheit bis Falsch-Informiertheit tut das: Der Maßstab, den ich mickriges Menschlein mir für alternative Zeitschriften gesetzt hab, ist der: wieviel brauchbare Auswege, m.o.w. sofort praktizierbare, sind enthalten. Mehr als der halbe Inhalt — oder weniger? Wenn einige Zeischriften fast gar keine Auswege anbieten, so wird das seinen guten Grund haben. Aber wenn es bei den meisten so ist, dann ist das ein ziemlicher Jammer.

Der Horizont ist Rund

Ein ehrlich Windenergie-Engagierter sagt mir aufs Reizwort „Sonnenenergie-Nutzung“: „Na des is a Holla. Des wiads nie bringan. Oba da Wind. Do liegt a Zukunft.“ Von einem ehrlich Sonnenenergie-Engagierten hab ich jetzt kein passendes Zitat zum Reizwort „Windenergie-Nutzung“ bereit. Auch keine von einem Energie-Etablierten zum Reizwort „Alternativ-Energie“. Ich denk’, daß die wohl alle recht ähnlich aufgebaut sind. Jeder versteht vom nächsten ziemlich wenig. Spezialisten-Blindheit, das St. Florian-Prinzip (verschon mein Haus, zünd andre an) zieht sich nämlich nicht bloß durchs Etablierte — auch unter den einzelnen Ausweg-Spezialisten ist das zu finden.

Aber warum scheißt ein bestimmter ehrlicher Radl-Praktiker pauschal auf jegliches Fahr-Blech, warum ein Anhänger einer Kräuter-Fastenkur auf Meditations-Fasten oder umgekehrt. Und warum will der Franz Huber, daß die Neubauklötze auf einer anderen Grünfläche wachsen sollen, nicht an der vor seinem Schrebergarten? Warum sammelt er nicht gleich Unterschriften gegen jeden Neubau, für den nicht ein anderer, häßlicher zugleich zur Grünfläche gemacht wird? Das scheint mir alles bloß, weil der Horizont zerfetzt ist, jeder hockt auf seinem Teil Horizont und brütet, brütet. — Aber keine Angst, einige Spezialisten fangen bereits mit dem Austauschen an. Die Zeitschriften sind dabei wichtig. Und wenn dann jeder jeden Teil Horizont einige Male in der Hand gehabt hat, werden die echteren Lösungen wachsen können. Wird kein neuer Kilometer Straße gebaut, wenn nicht zwei Kilometer unnötige rekultiviert werden. Wird kein neues Kraftwerk gebaut, sondern die Geräte erst einmal richtig genutzt dann wird sich nämlich herausstellen, daß wir schon heut viel zu viele Kraftwerke haben. Und für jeden beschissenen Arbeitsplatz, der verloren geht, wird ein autonomes Klein-Unternehmen gegründet, das sich aus falscher Arbeits-Moral und vordergründiger Konsumankurbelung ausgliedert.

Es leben die Horizont-Spezialisten. Es leben die Horizont-Sammler. Beide gemeinsam — im Alternativzeitschriftennieselregen.

Hier einige Nieselregen-Tropfen (nicht alle):

  • ALTERNATIV-MAGAZIN: Zollamtstr. 20, 4020 Linz. Gekoppelt mit einem Alternativ-Buchversand (viel gute Literatur). Auch hier weiter Horizont, die einzelnen Bereiche werden aber nur leicht angerissen. 8 Seiten A3. Ca. 4 mal im Jahr, Abo um etwa 40,— für 10 Ausgaben.
  • ALTERNATIVE: Mohrstr. 10, 5020 Salzburg, Tel.: 06222 /46-04-07; 4 Seiten A 4. 4 mal im Jahr. Abo 45,—. Die einzelne Nummer stark schwerpunktorientiert, insgesamt aber mehr Horizont-Teile: Verkehr, Umweltgifte, Atomenergie, Indianer, Landwirtschaft, Bildschirmzeitung, 3. Welt, etc.
  • ALTERNATIVEN-RUNDBRIEF. Redaktions-Adresse wandert. Zur Zeit am besten bei Dan Jakubowitz bestellen: Graben 13/43, 1010 Wien, Tel. 0222 /52-72-96. Jeder schreibt, jeder liest. 25 mal im Jahr, Umfang je nach Leserbrief-Menge, Preis derzeit 25g pro Seite. Alle Themen.
  • AUF: Eine Frauenzeitschrift: Postfach 817, 1011 Wien, Tel. 0222/26-17-402 (Burgi Hirsch). Ca. 4mal im Jahr. 45 Seiten A4. Themen der letzten Nummer: Frauenbewegung und Sozialdemokratie, Krise der Frauenbewegung, Krise am Beispiel Salzburg, TGM und WUK, dänisches Frauenhaus, Nachrichten aus der Frauenbewegung, Literatur und Ausstellungen, etc.
  • AUFRISSE: Zeitschrift für politische Bildung, wendet sich vor allem an Lehrer und Studenten, 1010 Wien, Rathausstraße 18
  • BESSER LEBEN: Am Schöpfwerk 31/451, 1120 Wien. Tel. 0222 /67-60-412. 4 mal im Jahr um 100,— mit 32 Seiten A4. Viele Themen: Ernährung, Glashaus, baubiologisches Bauen und Wohnen, Frieden, Umweltschutz, Grüne, etc.
  • DIE ALTERNATIVE: Monatszeitschrift der gewerkschaftlichen Einheit, Wipplingerstr. 23, 1010 Wien, Tel. 0222 /66-33-47. 12 mal im Jahr um 50,—. Ca. 20 Seiten A4. Themen der Nummer Nov. 81: Skepsis des ÖGB gegenüber der Selbstverwaltung, Wirtschaftlicher Nutzen der Arbeiterselbstverwaltung, Betriebsratswahlen, Schwarzfahren, Krankenstand, Friedensarbeit, etc.
  • DIE BERGBAUERN: Alternativen für den Bergraum. (Aber auch Kleinbauern anderswo). Spittelbergg. 24, 1070 Wien. Tel. 0222 /93-61-05. 20 Seiten A4. 12 mal im Jahr um 140,— Themen: Direktvermarktung, naturnaher Landbau, Tierzucht, Friedensbewegung, Saatgut, Frauen in der Landwirtschaft, etc.
  • DIE LINKE. Oppositionelles aus Betrieb, Gewerkschaft und SPÖ. Postfach 395, 1070 Wien. 26 mal im Jahr
  • DIVERSE ANTI-AKW: Presse-Spiegel der Atomkraftwerkgegner, Neue Argumente, etc.
  • DIVERSE FRIEDENSZEITUNGEN: Lebe; Presse-Spiegel (Anti-AKW-Sondernummern zum Frieden), Fridensinfo (ÖH Wien); WIDERSTAND (Zeitschrift für Zivildienst und gewaltfreie Verteidigung), Nachrichten des „Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit“, Bad Ischl, etc. (Adressen auf Wunsch lieferbar).
  • EPN (Entwicklungspolitische Nachrichten): Tuchlauben 86/16, 1010 Wien. Tel. 0222/63-37-550. 36 Seiten A4 12 mal im Jahr und dazwischen Info-Dienst und 4 mal im Jahr (im Abo nicht inbegr.) Sondernummern „Zum Beispiel“. Themen: Entwicklungshilfe, -politik, Alternative Energie, Frieden und Rüstung, Saatgut, etc.
  • LIBERTE: Anarchistisches Magazin: Postfach 86, 1033 Wien. 32 Seiten A4 um 100,— (bzw. 55,—). Themen: Frieden, Gewaltfreiheit, Hausbesetzung, Literatur, Opposition im Ostblock, anarchistische Theoretiker, etc.
  • SOL. Zeitschrift für Umweltschutz und Menschenrechte: Favoritenstr. 68, 1040 Wien. 30 seiten A4. 6 mal im Jahr, 100,—.
  • Themen: Kraftwerke und Umwelt, Pflanzenkläranlage, Anti-Atomkraft-Nachrichten, Radfahren in Wien, ökologischer Landbau, Grüne Parteien, Bio-Energie, Umweltchemikalien, etc.
  • SOZIALISTISCHE ÖKOLOGIE: Postfach 75, 1082 Wien. Tel. 0222 /42-19-364 (Wolfgang Schöner). 20 Seiten A4. 4 mal im Jahr, 80,—. Themen: Stadtverkehr, Rüstung, Anti-AKW, öffentliche Verkehrsmittel, Tarifpolitik, Biosprit, etc.
  • WOHNBAU. Fachzeitschrift für Wohnbauforschung. Kirchbergg. 17, 1070 Wien. Tel. 0222 /96-36-78. 32 Seiten A4. 12 mal um 250,—. Hilfe für Selbsthilfe, Kosten des Wohnens, neue Siedlungsformen, (halbetablierte Alternativen).
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