MOZ, Nummer 51
April
1990
Zellstoffindustrie in Österreich:

Alles Chlor!

Österreichs Zellstoffindustrie gerät im Zuge der für Juni angekündigten Wasserrechtsnovelle erneut unter Beschuß. Denn die Bleichereiabwässer enthalten mehr als tausend unbekannte Chlorverbindungen, die tonnenweise in die Flüsse geleitet werden.

Abwässer: Eigentlich Sondermüll ...
Bild: Greepeace

Das Flüsschen Ybbs in Kematen in Niederösterreich bietet an diesem sonnigen Frühlingsmorgen ein beeindruckendes Farbenspiel.

Der grünlich-klare Strom verwandelt sich auf Höhe des Zellstoffwerkes „Neusiedler“ in einen „kontrastreichen Zwei-Farbstrom“, wo das klare Wasser noch viele Meter neben den tief rotbraunen Abwässern einherfließt, bevor sie sich — scheinbar widerwillig — miteinander vermischen und als pastellbraune Brühe am Horizont verschwinden.

Ein ahnungsloser amerikanischer Tourist greift bei dem Anblick verzückt zum Fotoapparat: „How interesting!“

Einwohner des 4.000-Seelen-Ortes Kematen passieren, ohne eine Miene zu verziehen, die Brücke: „Das ist doch schon seit Jahren so“, ist die knappe Antwort.

Das Wirtshaus gleich neben der Brücke bietet als Mittagsmenü: „Täglich frische Fischgerichte!“ Ob die Fische aus der Ybbs stammen? „Natürlich nicht, hören’S!“, entrüstet sich die Wirtin, „unsere Fisch’ stammen aus der Tiefkühltruhe!“

Ybbs-Fische wären auch ungenießbar.

Pro Tag schleust die „Neusiedler“ nach eigenen Angaben 16.000m3 Ybbswasser durch ihre Anlagen, womit rund 20 Tonnen Schadstoffe in das Gewässer fließen.

Das entspricht genau einer Tankwagenfüllung.

„Die Neusiedler ist ein relativ kleines Werk“, so Wolfgang Pekny, Greenpeace-Chemiker und Spezialist in Sachen Zellstoffindustrie. „Rekordhalter ist die Hallein AG an der Salzach mit mehr als 47 Tonnen täglicher Schadstoffracht.“ Insgesamt gibt es in Österreich fünf Zellstoffwerke, die chlorgebleichte Produkte erzeugen. Pekny: „Zusammengerechnet lassen die Betriebe an einem Tag 370 Tonnen Umweltgifte hinaus.“

Monika Kisser, ehemalige Chemikerin des Ökologie-Instituts in Wien: „Ein Löwenanteil der Emissionen besteht aus chlororganischen Verbindungen beziehungsweise chlorierten Kohlenwasserstoffen. Diese sind extrem schwer abbaubar, ihre Halbwertszeit beträgt zehn bis tausend Jahre.“

Je nach Zusammensetzung der Ausgangsstoffe könnten bei der Chlorbleiche etwa zweitausend Verbindungen entstehen, von denen allerdings erst dreihundert identifiziert sind.

Monika Kisser kommentiert die „rote Liste der 300“: „Ein Sammelsurium von chemischen Fertigprodukten schwimmt da im Wasser herum! ... Das geht vom mittlerweile verbotenen Unkrautvernichtungsmittel Trichlorphenol über das ebenfalls verbotene Holzschutzmittel Perchlorphenol bis hin zum Trichlor- und Perchlorethilen, den Lösungsmitteln für Lacke, die durch die Trinkwasserverseuchung der Mitterndorfer Senke bekannt wurden.“

Diese Schätze können weder zurückgewonnen noch entsorgt werden, denn, so Kisser: „Die Technik ist heute noch nicht so weit. Die hohen Chlorgehalte aus dem konventionellen Bleichverfahren legen jede biologische Kläranlage lahm.“

... flußabwärts damit
Bild: Greepeace

Fische mit Mopsschädeln

Was also ganze Kläranlagen außer Gefecht setzt, ist auch für Pflanzen und Tiere nicht gesund. So wurden in Schweden angesichts der zunehmenden Verschmutzung der Ostsee umfangreiche ökologische Untersuchungen angestellt. Der Auszug eines schwedischen Forschungsberichtes veranschaulicht, was sich im Dunkel der Gewässer tut: „Der Einlaß von 2-Chlorpropenal — eine der zweitausend möglichen Verbindungen — hatte bei den untersuchten Fischen Leberschäden, mißgebildete Kiefer — den sogenannten Mopsschädel — starke Rückgratverkrümmungen, Fortpflanzungsstörungen sowie einen das Immunsystem schwächenden Mangel an weißen Blutkörperchen verursacht.“

Das Schicksal der österreichischen Fische war jedoch lange Zeit kein Thema. Erst vor zwei Jahren wurden an der Universität Innsbruck stichprobenartige Untersuchungen angestellt. Rudolf Hofer vom Zoologischen Institut stellt dann ähnliches wie seine schwedischen Kollegen fest: „Bei einigen Exemplaren gibt es lebensbedrohliche Zellveränderungen an Leber und Niere, sogenannte Nekrosen. Auch Stoffwechselstörungen kommen häufig vor.“

Dioxine

Doch nicht nur Fische bekommen das Desaster zu spüren.

Untersuchungen in Schweden ergaben, daß Dioxine, die ebenfalls bei der Chlorbleiche entstehen, in fertigen Papierprodukten zurückbleiben. Das heißt: auch in Hygieneartikeln wie Taschentüchern, Servietten, Toilettenpapier, Windeln ...

Die dazu verfaßte Studie berichtet: „Alle derart gebleichten Windeln wurden vom Markt verbannt, nachdem wiederholt Fälle von beißender Chlorakne bei Säuglingen diagnostiziert wurden.“

Auf einem eingeölten Babypopo löst sich Dioxin besonders gut; Chemiker sprechen hier von einer „gut fettlöslichen Verbindung“.

Chlorgebleichte schwedische Windeln werden heute nur mehr in das Ausland exportiert, wo sie immer noch reissenden Absatz finden.

In der BRD nahm man Kaffeefilter unter die Lupe und stellte fest, daß Dioxine beim Aufbrühen zu 50% in den Kaffee übergehen.

In Kanada wiederum fand man heraus, daß sich die in der Verpackung enthaltenen Dioxine großteils in der Milch lösen.

Dabei handle es sich, der schwedischen Studie nach, nur um Spuren der „gefährlichsten aller Chlorverbindungen“. In der Regel enthalten die nordischen Papierprodukte zwischen 1 und 25 ppt Dioxin; ppt heißt parts per trillion und definiert ein Picogramm Dioxin pro Gramm Papiermasse. Ein Picogramm wiederum ist ein Millionstel eines Millionstel Gramms.

Ein schwedischer Mitbürger etwa verträgt nach dem empfohlenen Grenzwert für die tägliche Dioxinaufnahme fünf Picogramm pro Kilo Körpergewicht. Dem amerikanischen Durchschnittsmenschen werden hingegen nur 0,1 Picogramm pro Kilo per definitionem zugetraut.

Während also ein sechzig Kilo schwerer Amerikaner mit einer Tasse Filterkaffee, die 10 ppt Dioxin enthält, schon seine täglich vertretbare Dosis von 6 ppt überschritten hat, darf ein gleichschlanker Schwede noch 29 Tassen Kaffee hinterhertrinken.

Für Österreich lassen sich derartige Untersuchungen nicht finden. Es existieren weder Richt- noch Grenzwerte.

In Tierversuchen wurde nachgewiesen, daß Dioxin ab einer bestimmten Konzentration krebserregend, fruchtschädigend und erbgutverändernd wirkt.
Wie die verschiedenen Grenzwerte veranschaulichen, streiten sich die Gelehrten noch um die vertretbaren Höchstmengen.

Nach Angaben von Greenpeace sei das „Ultragift“ 500 Mal toxischer als Strychnin.

Chloroform

Der Wirkungsbereich der Chlorgifte beschränkt sich allerdings keineswegs auf Tiere und Menschen.

Das schwedische Forschungsteam meint, bereits eine Schädigung der Ozonschicht durch Chloroform nachweisen zu können.

Schwedische Chlorbleichen entliessen 1982 noch rund 600 Tonnen der leichtflüchtigen Verbindung in die Umwelt. Es würden zwar große Mengen bereits in der Atmosphäre abgebaut, ein Teil könne jedoch ungehindert in die Stratosphäre gelangen, also in die lebensnotwendige Ozonschicht. Lange Zeit kam Chloroform als Narkosemittel zum Einsatz, bis nachgewiesen wurde, daß es krebserregend ist sowie Herz- und Nervensystem schädigt.

Wolfgang Pekny dazu: „Die gesamte Chloroformbelastung Österreichs stammt fast ausschließlich aus den zellstoffproduzierenden Betrieben, sonst wird es bei uns nirgends hergestellt oder in größeren Mengen verwendet!“

Zirka 100 Gramm Chloroformemissionen je Tonne Zellstoff bedeuten also bei einer Gesamtproduktion von 800.000 Tonnen im Jahr 1989 die gigantische Menge von 80 Tonnen Chloroformabfall.

100 Jahre Chlor

„Aber warum“, fragt an dieser Stelle der kleine Heinz seinen Onkel Emil, „warum wird denn der Zellstoff mit Chlor gebleicht, wenn doch alles so schlimm ist?“ Der Onkel legt die Stirn in Falten und entgegnet nachdenklich: „Das ist eine lange Geschichte ...“

Das Unglück nahm seinen Lauf, als Carl Wilhelm Scheele, schwedischer Pionier-Chemiker deutscher Herkunft, im Jahre 1774 Braunstein mit Salzsäure zur Reaktion brachte und somit das Chlorgas erfand.

Bald darauf entdeckte der Franzose Claude Louis Berthollet, daß Chlorgas Pflanzenfarben bleicht. Der geschäftstüchtige Kommissar für die Direktion der Färbereien Frankreichs schaltete sofort. Bis dahin mußten nämlich die gefertigten Textilien angesäuert und wochenlang der Sonne ausgesetzt werden. Das Chlorgas verkürzte den Aufhellungsprozeß ungemein, die Geburtsstunde der Chlorbleiche war gekommen.

Seither hielt das Chlorgas raschen Einzug in alle möglichen Bleichverfahren.

Im Jahre 1890 setzte im bundesdeutschen Grießheim die erste industrielle Großproduktion ein. Rund vierzig Jahre später, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, entdeckten auch die Zellstoffhersteller das Wundermittel.

Die Zeit verging, Techniken änderten sich — das Chlor aber blieb, denn die Vorteile lagen auf der Hand. Chlorgas war und ist nicht nur extrem billig, sondern es erhöhte Festigkeit und Qualität des Papiers, verminderte das Nachgilben und ermöglichte durch den hohen Weissegrad die Perfektionierung des Mehrfarbdruckes.

Auf dem internationalen Markt waren nur mehr die ‚Weißesten, Besten und Schönsten‘ gefragt.

Daß es auch die giftigsten Produkte sind, rückt erst langsam ins Bewußtsein der Bevölkerung. Eine so strikt wie kurzsichtige, ausschließlich auf ökonomischen Profit orientierte Industrie verabsäumte es, umweltverträgliche Produktionskreisläufe zu entwickeln.

Peroxid und Sauerstoff

„Dabei existieren umweltfreundliche Bleichmittel wie Peroxid oder Sauerstoff schon seit den sechziger Jahren“, erzählt Werner Süss von der Forschungsabteilung der Firma „Degussa“ in der BRD. „Degussa“, vornehmlich auf dem Gebiet der Edelmetallrückgewinnung tätig, witterte damals in weitsichtiger Weise einen neuen Absatzmarkt für das hauseigene Wasserstoffperoxid.

„Aber die Technik war noch nicht so ausgereift“, meint er, „wir konnten einfach diese hohen Qualitätsanforderungen nicht erfüllen. Die Betriebe sahen auch gar keinen Grund, die Verfahren umzustellen, das Umweltbewußtsein steckte ja noch in den Kinderschuhen.“

Dennoch wurde das Projekt „Chlorfrei“ weiterverfolgt und ausgefeilt.

Jetzt scheint sich endlich auch der erhoffte Absatzmarkt aufzutun. Zumindest in der BRD.

Dazu Ingo Bokermann vom Hamburger „Greenpeace“-Team: „Mit dem 1.1.1990 gibt es in der Bundesrepublik eine Abwasserabgabe für chlororganische Verbindungen, im Fachjargen AOX-Abgabe genannt. Seitdem hat sich einiges getan. Zwei Betriebe haben sofort die gesamte Produktion auf chlorfrei umgestellt. Andere Projekte sind schon in Planung.“

Im ‚Land am Strome‘ aber zögert man noch.

Als einziges Werk Österreichs startete die anfänglich erwähnte „Neusiedler“ in Kematen erste Gehversuche mit peroxidgebleichtem Kopierpapier. Seit einem halben Jahr werden an der Ybbs 30% des Zellstoffes auf diese Art hergestellt.

Da die „Neusiedler“ aber nur teilweise ihre Papierproduktion durch eigenen Zellstoff abdecken kann und den Rest zukauft, nehmen chlorfreie Endprodukte nur 5% ihrer gesamten Papiererzeugung ein. Umgerechnet auf die österreichische Gesamtproduktion eine verschwindend geringe Menge.

Der „Neusiedler“-Prokurist Hartmann nennt Gründe: „Alternative Bleichmethoden sind für das Kopierpapier noch ausreichend. Aber hochwertige Druck- und Schreibpapiere werden damit nicht weiß genug.“

„Alles eine Frage des Marketings“, meint hingegen sein deutscher Kontrahent Schoppmann, Exportleiter der Hannoverpapier „Alfeld“, die kürzlich ihre gesamte Produktion auf die Peroxidbleiche umstellte und auch für Kunstdrucke anwendet. Darunter fallen beispielsweise Kalender, Werbebroschüren, Fotobände oder Fachbücher. „Wir erreichen zwar nur neun Weißepunkte statt der üblichen elf, aber das ist für’s Auge sogar angenehmer“, gibt sich Schoppmann optimistisch. Die Großhändler in Belgien, England und so weiter hätten jedenfalls sofort große Aufträge sichergestellt. „Ja, und die österreichischen Kunden waren ganz begeistert“, plaudert er freimütig weiter, „da produziert nämlich noch keiner chlorfreie Kunstdruckpapiere.“ Hierzulande wird nämlich gerade erst Schadstoff reduziert und nicht vermieden.

Dreck macht Arbeit — vor allem den Umweltschützern
Bild: Greepeace

Chlorarme Bleiche

„Das wird wohl auch für die nächsten Jahre so bleiben“, stellt Wolfgang Lauber trocken fest. Der Verfasser der Arbeiterkammerstudie „Zellstoffindustrie und Gewässerschutz in Österreich“ weiß: „Keiner der Betriebe plant offiziell eine Teilumstellung nach dem Neusiedler-Vorbild, geschweige denn eine Totalumstellung der Produktion.“

Statt dessen setzt man auf die chlorarme Bleiche. Ein Verfahren, das 1979 in Norwegen eingeführt wurde und damals als umweltfreundlich galt. Nach Lauber keine wirkliche Alternative.

Die „Pöls AG“ an der Pöls und die „Lenzing AG“ an der Ager stiegen Mitte der achtziger Jahre auf die chlorarme Bleiche um, jetzt im April wird die „Leykam-Mürztaler AG“ an der Mur nachziehen. An der Salzach und an der Ybbs planen „Hallein“ und „Neusiedler“ selbiges für 1991.

„Sicher kein Grund für Freudensprünge“, meint Arbeiterkammermann Lauber.

Zwar würde der Chloreinsatz verringert — durch die Kombination einer Sauerstoffstufe mit Chlordioxid. Ebenso würden die Emissionen reduziert, wodurch man das Abwasser in einer biologischen Kläranlage bis zu 95% reinigen könnte. „Aber was dann überbleibt, ist noch immer zuviel. Die Lenzing erzielt mit dem Verfahren die besten Abwasserwerte im Vergleich mit den anderen Betrieben. Trotzdem übersteigt sie den BRD-Grenzwert um das Doppelte.“

Außerdem bleibt die Klärschlammentsorgung als Problem.

Die „Leykam“ beispielsweise verbrennt den Klärschlamm in einer eigenen, zwölf Jahre alten Anlage. Ab April wird der Klärschlamm auch die chlororganischen Verbindungen aus der chlorarmen Bleiche enthalten. Hans Werner Mackwitz, Chemiker und Berater im grünen Parlamentsklub: „Bei der Verbrennung können dann wieder Dioxine und diverseste andere Gifte entstehen. Das ist ein alter Hut.“

Eine Kombination von Sauerstoff mit Chlordioxyd würde außerdem die Chloroformbildung erheblich begünstigen, wie der Arbeiterkammerstudie zu entnehmen ist.

Die ganze Chlordiskussion gleicht einem Endlosreim: „... ein Loch ist im Eimer, oh Henry!“

Mackwitz: „Die einzigen Alternativen, die technisch derzeit machbar und ökologisch vertretbar sind, heißen Peroxid und Sauerstoff.“

Der Ausstieg aus der Chlorbleiche wird von Umweltschützern und Grünen immer vehementer gefordert. Selbst Bundesministerin Marilies Flemming verkündete auf ihrer Pressekonferenz Ende Januar vor zahlreich erschienener Journalistenschar, daß man um die chlorfreie Bleiche letztendlich nicht herumkomme.

„Die österreichischen Zellstoffhersteller haben das durchaus erkannt, aber sie wollen Zeit gewinnen“, skizziert der grüne Bundesgeschäftsführer Johannes Voggenhuber das zaghafte Verhalten.

Die „Hallein AG“ wünscht sich nach eigenen Angaben eine Sauerstoffbleiche für den gesamten Produktionsprozeß. Doch bis Mitte 1991 hat sie laut gültigem Wasserrechtsbescheid Zeit, erst einmal die chlorarme Bleiche einzuführen. Was danach sein wird, könne man noch nicht sagen, es gäbe noch „keine konkreten Pläne“.

In Kematen an der Ybbs will man erst abwarten, wie sich „das Baby auf dem Markt macht“, wie der „Neusiedler“-Marketingleiter Norbert Kisling liebevoll das Kopierpapier nennt. Er könne derzeit nicht sagen ob das „umweltfreundliche Produkt“ in den nächsten Jahren die 5%-Marke übersteigen würde.

Ähnliches ist aus den anderen Betrieben zu hören. Ein technischer Ingenieur der „Leykam-Mürztaler AG“ gibt die Auskunft: „Ab April haben wir die chlorarme Bleiche. Alles weitere ist noch offen.“

Folge der Chlorbleiche: Dioxin im Kaffeefilter
Bild: Greepeace

Pilot-Projekt

Johannes Voggenhuber sieht einen Grund für die Verzögerungstaktik in dem lange Zeit umstrittenen sogenannten Pilot-Projekt.

Die eigens dafür gegründete „österreichische Zellstofforschungsgesellschaft“ will auf dem Gelände der „Leykam-Mürztaler AG“ ein „neues chlorfreies Bleichverfahren“ entwickeln, das auf der Kombination von Sauerstoff, Peroxid und Ozon beruht.

Das Konsortium finanziell beteiligter Firmen umfaßt die „Leykam-Mürztaler AG“, die „Hallein AG“, „Pöls“ und „Neusiedler“ sowie drei Maschinenhersteller, die das Equipment liefern. 45% Förderung steuerte auch der Wasserwirtschaftsfond bei.

Voggenhuber glaubt nun: „Solange sie dort forschen, haben sie ein Alibi und können Umweltschutzinvestitionen seelenruhig auf die lange Bank schieben.“

Eine Stellungnahme der „Leykam-Mürztaler AG“ bestätigt: „Bevor wir weitere Umweltschutzinvestitionen planen, müssen wir erst einmal die Forschungsergebnisse abwarten.“

Mit der neuen Bleiche will man höchste Qualitätsanforderungen erfüllen können. So hoffe man unter anderem, auf eine Helligkeit von elf Weißepunkten zu kommen. Ferner sollen verschiedenste Papiersorten mit der Bleiche hergestellt und auf Herz und Nieren getestet werden.

„Ein völlig unsinniges Projekt“, ärgert sich Voggenhuber: „Ausländische Erzeugnisse beweisen, daß der Markt die derzeitigen Alternativ-Produkte akzeptiert! Wir sollten vielmehr auf breiter Ebene eine Umgestaltung von Qualitätskriterien vorantreiben.“

Das Firmenkonsortium hat anderes im Sinn. Alois Wohlfarter, technischer Leiter der Pilotanlage, schwärmt von einem „weltgrößten Forschungsprojekt“: „Wenn alles gut geht, werden wir international die ersten sein, die eine wirklich perfekte Alternative zu bieten haben.“ Australier und Amerikaner hätten schon reges Interesse gezeigt, japanische und schwedische Delegationen vor Ort bereits persönliche Kontakte geknüpft.

Jetzt im April rücken die ersten Baufahrzeuge an. Nach den Förderungsbedingungen des Wasserwirtschaftsfonds muß der gesamte Aufbau bis 31.12.1990 stehen, ab 1.1.1991 mit den Forschungsarbeiten begonnen werden. Weitere Vertragsbedingung ist der erfolgreiche Abschluß des Projektes bis Ende 1992 sowie die „schnellstmögliche großtechnische Umsetzung“ der Ergebnisse.

Bis Ende 1992 kann der Wasserwirtschaftsfonds die Termineinhaltung in einem gewissen Rahmen kontrollieren, indem von den 87 Millionen Schilling Gesamtförderung nur sukzessive Teilbeträge ausgegeben werden. Auf die großtechnische Umsetzung hat er nach Vertragsablauf mit dem 1.1.1993 keinen Einfluß mehr.

Der Chemiker Wolfgang Pekny ist deshalb skeptisch: „Niemand kann jetzt vorhersagen, daß die Forschungen 1992 abgeschlossen sein werden. Solche Projekte ziehen sich oft unendlich in die Länge. Die darauffolgenden betrieblichen Verfahrensumstellungen nehmen für gewöhnlich auch Monate oder Jahre in Anspruch.“

Der Geschäftsführer der „Vereinigung österreichischer Papierindustrieller“, László Forgó, schätzt: „Zehn Jahre wird’s wohl noch dauern, bis alle Betriebe die chlorfreie Bleiche haben.“ Bis dahin wird weiter vergiftet. Nunmehr mit Alibi.

Zahnloses Gesetz

Als ungeklärt gilt zur Zeit noch, ob die für Juli 1990 angekündigte Wasserrechtsnovelle den Umstellungsprozeß beschleunigen kann.

Das gültige Wasserrechtsgesetz stammt aus dem Jahre 1959 und ist mittlerweile veraltet. Bis dato gibt es in Österreich nur Richtwerte für Abwasseremissionen, die nicht verbindlich sind. Mit der Wasserrechtsnovelle sollen erstmals Emissionsgrenzwerte gesetzlich verankert werden.

Anfang Jänner präsentierten die Koalitionsparteien einen Gesetzesentwurf, der allerdings, außer von seiten der Industriellenvereinigung, wenig Zustimmung findet. Presseberichte der letzten Tage sprechen von „Gesetzeslücken, so groß wie Scheunentore“.

Von Grünen und Freiheitlichen wurden von Jänner bis März jeweils mehr als fünfzig Abänderungsanträge eingebracht, die „hoffentlich noch rechtzeitig“ von den Regierungsparteien bearbeitet werden. Marlies Meyer, Wasserrechtsspezialistin im grünen Klub, ist da eher skeptisch: „Am 23. April soll schon über die Novellierungsvorlage abgestimmt werden.“ Die lebhafte Stimmung in Oppositionskreisen hält deshalb an: „Der Entwurf ist viel zu zahnlos“, schimpfen die Grünen. „Ein völliger Wahnsinn“, wettern die Freiheitlichen. Die Kritik beider Parteien richtet sich vor allem gegen Passagen des §33. So zum Beispiel gegen die Fristenregelung zur Sanierung von Altanlagen: Nach dem Entwurf des neuen Wasserrechtsgesetzes müssen die Betreiber von Altanlagen innerhalb von zwei Jahren ein Sanierungskonzept auf den Tisch legen. Für die Umsetzung gibt es aber keine zeitliche Begrenzung. Die Fristen werden von Landeshauptleuten individuell festgelegt und dürfen laut Entwurf noch um 5 Jahre verlängert werden.

Als „unhaltbare Zumutbarkeitsklausel“ bezeichnen FPÖ und Grüne auch §33b Absatz 10. Demnach dürfen Emissionsgrenzwerte überschritten werden, „... wenn mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand das Einhalten der Emissionswerte technisch nicht möglich ist ...“

Ob ein Aufwand zur Einhaltung der Emissionswerte wirtschaftlich zumutbar ist, entscheidet wiederum der Landeshauptmann. Und der muß es ja wissen!

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